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FBW-Bewertung: Das radikal Böse (2013)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat besonders wertvoll erteilt.

Die Gesichter gehören ganz normalen jungen Männern. Uniformen und Frisuren machen ihre Rollen zwar als die von deutschen Soldaten, Polizisten und SS-Männern kenntlich, aber ansonsten sind es offensichtlich Menschen von heute, die von Stefan Ruzowitzky betont neutral von der Kamera aufgenommen werden. Zu diesen Bildern hört man Auszüge aus Protokollen, Briefen, Gerichtsaussagen und Tagebucheinträgen. Und zwar von jenen Männern, die in Osteuropa als Mitglieder der deutschen Erschießungskommandos rund zwei Millionen jüdische Zivilisten umgebracht haben. Der Kontrast ist erschütternd, denn ohne die übliche Dämonisierung der Täter wird deutlich, dass wenn nicht alle, dann doch die meisten Menschen dazu gebracht werden können, radikal böse Taten zu begehen. Stefan Ruzowitzky verzichtet darauf, historische Begebenheiten nachzuinszenieren. Durch Verfremdungsmittel wie Splitscreens wird zudem die Tendenz der Bilder, realistisch zu wirken, unterminiert. Auch so macht er deutlich, dass es ihm nicht so sehr um die spezifisch historischen Vorfälle geht, sondern dass sie eher beispielhaft dafür stehen, zu was für Taten Menschen fähigsind. Auf einer Ebene tut er dies mit den sehr klug ausgesuchten Aussagen der Täter, in denen die Erschießungen penibel genau geschildert, aber auch die Kinder und Frauen zuhause zärtlich gegrüßt werden. Zudem greift Ruzowitzky auf Archivmaterial zurück, wobei er die in anderen Dokumentationen oft gezeigten Schreckensbilder eher sparsam und in kurzen Ausschnitten einsetzt. Vergleichsweise lange zeigt er dagegen in Farbe gedrehte Aufnahmen von Juden in den Straßen einer Stadt in der Ukraine, aus den 30er Jahren, die im Frieden und bescheidenem Wohlstand leben und fröhlich in die Kameraschauen. Sie alle werden zu Opfern der deutschen Tötungskommandos werden, und gerade durch dieses Wissen erschrecken diese idyllischen Bilder besonders. Ruzowitzky hat zusätzlich einige Zeitzeugen befragt. So zeigt er einen alten Mann in der Ukraine, der beschreibt, wie und wo er als kleiner Junge Zeuge von Erschießungen war und wie er und andere Kinder die Gräber ausgraben und die Leichen zuschaufeln mussten. Auf einer weiteren Ebene lässt er Experten die Geschehnisse psychologisch, soziologisch, philosophisch und moralisch einordnen. So vermitteln Benjamin Ferencz, der Hauptankläger bei dem Einsatztruppen- Prozess in Nürnberg, der Holocaustforscher Pére Patrick Desbois, ein Psychohistoriker, ein Militärpsychologie und andere ihre Erkenntnisse und Schlussfolgerungen. Dazu werden einige soziologische Experimente über die Autoritätshörigkeit und Bereitschaft, anderen Menschenleid anzutun, in eher abstrakt wirkenden kleinen Bühnenstücken nachgespielt. Ruzowitzky gelingt es, mit diesen verschiedenen stilistischen Mitteln genügend Abstand zu den ungeheuerlichen Taten zu halten, um sie auf einer eher intellektuellen Ebene zu bearbeiteten. Er will nicht urteilen, sondernverstehen, und aus dieser Sichtweise ermöglicht sein Film viele existentielle Einsichten. So etwa jene, dass das radikal Böse nicht unmenschlich, sondern uns eigen ist, aber auch die, dass der einzelne immer eine moralische Entscheidung trifft. Einige haben sich geweigert zu schießen ? und auch sie waren ganz normale Männer.



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