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FBW-Bewertung: Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne (2015)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Frankreich 1920: Madame Marguerite ist eine wohlhabende und wohltätige Adlige, die ihre Wohltätigkeitsveranstaltungen dazu nutzt, vor einem erlauchten Kreis ihre eigene Gesangskunst zum Besten zu geben. Das Problem: sie kann gar nicht singen. Vielmehr hat sie die bemerkenswerte Gabe, jeden Ton schief zu singen. Ihrem Mann ist das unendlich peinlich. Lucien undKyrill, die beiden jungen Wilden aus Paris, sehen in Madame Marguerite die Verkörperung ihrer eigenen programmatischen Absage an die Schönheit in der Kunst. Außerdem kann Madame Marguerite ihnen sozusagen als Mäzen noch von Vorteil sein. Lucien ist zusehends gerührt von dieser Frau, deren Unkonventionalität sowohl etwas Erfrischendes als auch etwas Trauriges in sich birgt. Er kümmert sich um sie, arrangiert für Marguerite eine Gesangsausbildung und initiiert ein öffentliches Konzert in Paris. Doch leider nimmt der Plan kein gutes Ende.
Xavier Giannolis Historien- und Musikfilm ist nicht zuletzt durch die hinreißende Catherine Frot in der Titelrolle ein überaus berührender Film und darüber hinaus auch eine Kunst- und Medienreflexion. Der Film ist gespickt mit Anspielungen auf die Kunstszene im Paris zu Beginn der 1920er Jahre, eine Zeit, in der nicht nur dort (auch) infolge der Erfahrungen des Ersten Weltkrieges die Schönheit in der Kunst in Frage gestellt wurde. Madame Marguerite verkörpert das Extrem dieser Idee, denn sie singt ja nicht nur schlecht, sondern derart schief und falsch, als stehe ein anti-künstlerisches Programm dahinter. Zudem werden elementare Merkmale des Theaters, der Inszenierung, der Medien Film, Fotografie und Grammophon reflektiert, jedoch ohne zu theoretisch, zu verkopft zu geraten. Die erzählte Geschichte wird nie vernachlässigt, auf sie wird sogar genauestens geachtet. Dem entspricht auch, dass nichts, was passiert, vorhersehbar ist, der Film fortwährend mitüberraschenden Wendungen aufwartet.
Es ist eine Zeit, in der die Künste gezwungen wurden, ihre Konventionen abzulegen, aber nicht nur die. Madame Marguerite widersetzt sich ja auch den Konventionen einer guten Ehefrau, denn sie entspricht in keiner Weise den Wünschen ihres Mannes, der sie zwar liebt, sich ihrer aber auch schämt. Dass der Film am Schluss nahelegt, Madame Marguerites Problem sei ein psychisches, das im Liebesentzug durch ihren Mann begründet sei, schränkt den emanzipatorischen Gehalt des Films kaum ein. Xavier Giannoli ist ein anspruchsvoller und emotional berührender Film gelungen.



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