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FBW-Bewertung: Das Löwenmädchen (2016)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat wertvoll verliehen.

Ein augenfälligeres Bild von einem Außenseiter wird sich nur schwer finden lassen. Die Titelheldin dieses Films wird infolge eines Gendefekts mit einem Pelz von blonden Haaren am ganzen Körper geboren und behält diese Behaarung für den Rest ihres Lebens. Dass diese Eva in den engen und spießigen Verhältnissen eines kleinen norwegischen Städtchens im Jahr 1912 geboren wird, macht es nicht einfacher für sie, denn ihr Vater, als Stationsmeister eine Respektsperson, sperrt sie für viele Jahre in die obere Etage des Bahnhofsgebäudes ein. Wie sie zuerst zaghaft und dann mit viel Geduld und Willenskraft Menschen für sich einnimmt, die ihr immer mehr Kontakte zur Außenwelt ermöglichen, wie sie mit der Ablehnung des Vaters umgeht, wie sie gedemütigt wird und dann in der Mathematik eine (nicht umsonst körperlose) Welt entdeckt, in der sie schließlich anerkannt wird ? all das wird hier imklassischen Stil eines historischen Films mit einer aufwendigen und äußerst stimmigen Ausstattung erzählt.
Der Film basiert auf dem gleichnamigen Roman von Erik Fosnes Hansen, der auch am Drehbuch mitarbeitete. Wohl auch deshalb wird hier episch und ohne melodramatische Zuspitzungen erzählt. So verzichten die Filmemacher etwa auf die Gelegenheit, das Leben des Löwenmädchens in einem ?menschlichen Kuriositätenkabinett?, bei dem sie mit siamesischen Zwillingen, Liliputanern und einem ?Echsenmann? durchs Land tingelt, mit drastischen Bildern zu illustrieren. Stattdessen nimmt sich die Regisseurin Vibeke Ids?e die Zeit für eine lange Sequenz mit einem Gespräch des fast schon erwachsenen Löwenmädchens mit einer schönen, einfühlsamen Frau, bei der sie wie davor noch nie Verständnis findet und die ihr einen Weg in ein unabhängiges Leben zeigt. Doch im Mittelpunkt des Films steht das komplizierte Verhältnis von Eva zu ihrem Vater, der ihr lange die Schuld für den Tod seiner geliebten Frau bei der Geburt gibt. Rolf Lassg?rd verkörpert ihn wunderbar als einen mürrischen Griesgram, in dessen Gefühlspanzer sich im Laufe des Films immer mehr Risse zeigen,und dessen Liebe zu seiner Tochter erst in der letzten, grandios inszenierten Szene offenbart wird. Bemerkenswert sind auch die Leistungen der drei Schauspielerinnen, die Eva zuerst als Kind, dann als Mädchen und schließlich als Frau spielen. Ihnen ist es zu danken, dass der Zuschauer sehr schnell Eva nicht als einen ?Fehler der Natur? sieht, sondern als einen einzigartigen Menschen, der sich willensstark und anmutig gegen die anderen zu behaupten weiß. Dabei ist auch die Maske zu loben, durch die das Gesicht des Löwenmädchens sehr nuancierte Gefühlsregungen ausdrücken kann und eine ganz eigene Schönheit bekommt.




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