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FBW-Bewertung: Cahier Africain (2016)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Konzipiert als Langzeitdokumentation basiert der Film auf einem Fundus von Recherchen, Fotos, Briefen und Drehmaterial, der den Lebensweg seiner Protagonisten seit 2008 festhält. Der zufälligen Begegnung mit dem CAHIER AFRICAIN, einem Zeugenaussageheft, in dem die schrecklichen Vergehen an zentralafrikanischen Mädchen und Frauen aufgezeichnet sind, folgten sieben Drehjahre in denen Heidi Specogna die davon betroffenen Lebensgeschichten mit der Kamera verfolgt.

Lange Zeit war Lateinamerika das dokumentarische Forschungsfeld der Regisseurin Heidi Specogna. Einige ihrer wichtigsten Filme hat sie dort gedreht. Mit ihrer Dokumentation DAS SCHIFF DES TORJÄGERS wechselte die Regisseurin 2010 den Kontinent und begann offensichtlich eine afrikanische Filmographie. 2011 folgte CARTE BLANCHE, ein Film über Frauen, Männer und Kinder, die zwischen 2002 und 2003 in der Zentralafrikanischen Republik vergewaltigt wurden. Den Befehl dafür soll Kongos Ex-Vizepräsident Jean-Pierre Bemba gegeben haben. Bemba ermöglichte seinen Soldaten jene ?Carte Blanche? ? einen Freibrief. CAHIER AFRICAIN erzählt diesen Strudel von Gewalt, Tod oder Vertreibung weiter. Im März 2016 ist Jean-Pierre Bemba schuldig gesprochen worden, 14 Jahre nach den verübtenTaten.

Die große Qualität der Recherche bewegt diesen schweren Stoff. Wie in vielen ihrer Filme bedient sich Heidi Specogna unterschiedlicher Berichtsformen: lange Interviews mit Amzine, einer jungen muslimischen Frau, die als Folge einer Vergewaltigung ein Kind zur Welt brachte, Dokumente, arrangierte Fotografien und immer wieder eindrucksvolle Filmaufnahmen der wenigen Protagonisten des Films. Ohne jeden Off-Kommentar sprechen die Schilderungen der Betroffenen für sich. Mit ausdauernder Nachhaltigkeit folgt Specogna den individuellen Schicksalen, ohne den Blick auf das Ganze zu verlieren. Sie nimmt sich Zeit, bis aus der Genauigkeit punktueller Ereignisse eine glasklare, welthaltige, allgemeingültige Geschichte wächst. Trotz des vielen Leids gibt es einen Alltag, der in seiner Beiläufigkeit wichtige Zusammenhänge erklärt und die großen Fragen des Films nicht moralisiert. So intensiv verbunden und unglaublich nah war man den Menschen in Afrika bisher sicher nicht oft.




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