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FBW-Bewertung: Victoria & Abdul (2016)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Stephen Frears ist einer der bedeutendsten Regisseur des New British Cinema der 1980er Jahre. Mit MEIN WUNDERBARER WASCHSALON etablierte er den aktuellen interkulturellen Konflikt im populären Kino. Mit GEFÄHRLICHE LIEBSCHAFTEN inszenierte er einen historischen Stoff als Spiegel zeitloser Intrigen.
VICTORIA UND ABDUL ist nun eine interkulturelle Tragikomödie mit historischem Hintergrund. Formal und schauspielerisch auf höchstem Niveau, gedreht an Originalschauplätzen, erleben wir die Begegnung eines muslimischen Inders mit der britischen Königin Victoria, die zugleich Kaiserin von Indien war. Judi Dench verleiht dieser Rolle eine enorme charismatische und mitunter amüsante Präsenz. Fasziniert von dem attraktiven Fremden, lässt sie sich dessen Sprache und Kultur näher bringen und ernennt ihn zum Berater und Lehrer, was für nachhaltige Unruhe in Regierungskreisen sorgt, denn: Es sind die muslimischen Inder, die an den Aufständen im Kolonialreich beteiligt sind, weniger die Hindus. Mit dieser interkulturellen Problematik trifft der Film die aktuelle Situation in Post-Brexit-Großbritannien: Die Notwendigkeit, das Fremde zu kennen, bevor man es einordnet oder verurteilt ? im Guten wie im Schlechten.
VICTORIA UND ABDUL ist eine subtile Geschichteüber Menschen unterschiedlicher Herkünfte, kultureller Prägung und gesellschaftlicher Stände. Der anfängliche Wohlfühlaspekt der Inszenierung weicht nach der zentralen Wendung dem humanistischen Drama, das Borniertheit, Chauvinismus, Klassendünkel, Rassismus am Hof entlarvt. Abdul dient wie die Königin dienen muss. Der Fremde verdeutlicht ihr diese Bedeutung des Dienens:
Das Ambivalenzmodell des Films entfaltet sich auf verunsichernde Weise und beschwört eine eindrucksvolle Doppelbödigkeit. Ist Abdul gar der Feind im eigenen Haus? Die verjüngende Schwärmerei des Beginns vergeht angesichts von Hochstaplerei und Täuschung. Stephen Frears hat bereits zuvor bewiesen, dass er mit doppelbödigen Intrigen und interkulturellen Thematiken souveränumgehen kann.
Durch die Entdeckung der zugrunde liegenden Dokumente im Jahre 2010 hat der Film eine erstaunliche Aktualität, die auch auf gegenwärtige Prozesse übertragbar ist. Sein nahtloser Erzählfluss mit konsequenter Verdichtung macht den Film für ein großes Publikum interessant und wirft wichtige Fragen auf. Die Jury bewertet ihn daher mit dem Prädikat besonders wertvoll.




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