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Tagebuch Berlinale 2016: Der Killervirus, der um die Welt ging

7. Tag: Eine brisante Doku sorgt für Furor im Wettbewerb

Ausgerechnet der einzige Dokumentarfilm im Wettbewerb, der sich auch noch einem scheinbar so trocken Thema, wie Computerviren widmet, sorgte heute für großen Furor: Alex Gibney (Oscar für "Taxi zur Hölle") behandelt in "Zero Days" den elaboriertesten Computervirus der Geschichte, der in der Öffentlichkeit unter dem Begriff "Stuxnet" bekannt wurde. Wenn man nicht bereits durch die unglaublichen Enthüllungen von Edward Snowden vorgewarnt wäre, dann würden die in "Zero Days" gemachten Enthüllungen wie reine Science-Fiction wirken. Aufgrund inzwischen durchgesickerter Informationen ist unzweifelhaft, dass die Angriffe mit diesem Virus den ersten Cyberwar der Geschichte darstellen. Die Enthüllungen um Stuxnet haben höchstwahrscheinlich auch Michael Manns Thriller "Blackhat" (2015) inspiriert. Aber die Wirklichkeit, die Alex Gibney in "Zero Days" präsentiert, ist wesentlich fortgeschrittener, spannender und bestürzender, als der Film von Mann. Die brisanten Enthüllungen wurden mit starkem Applaus bedacht.

Ebenfalls zu gefallen wusste der zweite heutige Wettbewerbsbeitrag: "Die Kommune" von Thomas Vinterberg, mit welcher der Däne nach "Submarino" im Jahr 2010 das zweite Mal mit einem Film im Wettbewerb der Berlinale zu Gast ist. Die lose von der eigenen Kindheit des Regisseurs inspirierte Handlung zeigt ein Experiment, wie es typisch für die 1970er-Jahre war: Der Architekt Erik (Ulrich Thomsen) und seine Frau Anna (Trine Dyrholm) - eine bekannte Fernsehnachrichtensprecherin - beschließen in einem soeben geerbtes großes Haus eine Kommune gründen, um wieder mehr Bewegung in ihr Eheleben zu bringen. Gesagt, getan. Doch das anfänglich relativ harmonische Zusammenleben wird ernsthaft auf die Probe gestellt, als Erik sich in seine Studentin Emma (Helene Reingaard Neumann) verliebt und diese ebenfalls im Haus einzieht. "Die Kommune" präsentiert Thomas Vinterberg in Höchstform und zeigt die gesamte Bandbreite menschlicher Emotionen: Lieben, Leiden, Heranwachsen, Tod, Freude, Verzweiflung, Aufbruch, Stillstand, Konflikt und Harmonie wechseln sich in rascher Folge ab. Auch dieser Wettbewerbsbeitrag wurde mit einem kräftigen Applaus bedacht.

Etwas Besonderes gab es heute auch in der Sektion Berlinale Special Gala zu sehen: Dort feierte mit "Miles Ahead" die erste Regiearbeit des Schauspielers Don Cheadle ihre Weltpremiere. Cheadle bekleidet in dem Film zudem die Hautrolle: Er spielt die Jazzlegende MIles Davis. Allerdings konzentriert sich "Miles Ahead" nicht auf die zahllosen Glanzstunden in der Karriere des Jahrhundertmusikers, sondern ausgerechnet auf die zweite Hälfte der 1970er-Jahre. In dieser Zeit war Miles Davis künstlerisch komplett inaktiv und stattdessen vorrangig mit Koksen, Frauen und seiner wachsenden Paranoia beschäftigt. In diese Welt findet der Zuschauer einen Einstieg in Form in der Figur eines schmierigen Reporters vom Rolling Stone, der von Ewan McGregor verkörpert wird. Zwischendurch springt die Handlung immer wieder zurück zu Miles Glanzzeiten, aber auch zu seinen Problemen mit seiner Frau. Das Tolle an dem Film ist, dass es Cheadle gelingt sich - zumindest in den gealterten - Miles Davis komplett zu verwandeln. Wir erleben den Künstler als arroganten Antipathen, der nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Wie es genau dazu gekommen ist und wie Miles Davis später wieder aus dieser Phase herausgekommen ist, erfährt man jedoch nur in anfänglichen wenig überzeugenden Andeutungen. Deshalb ist am Ende unklar, was der tiefere Sinn dieses Film sein soll.

Auch unser Kritiker Ralf Augsburg hatte Glück mit seinem dritten Wettbewebsfilm, der allerdings leider nur außer Konkurrenz laufenden Komödie "Des nouvelles de la planète Mars" (News from Planet Mars), die am Nachmittag im Cinemaxx für viele Lacher und am Schluss freundlichen Applaus sorgte. Realistisch besehen hätte diese französische Produktion von Dominik Moll keine Chance auf einen Bären, aber es war gut, dass die Festival-Schaffenden auch mal etwas Leichtgewichtiges offerieren. Die sympathische Geschichte eines allzu gutmütigen, geschiedenen Familienvaters (Francois Damiens) in Paris, dessen Großherzigkeit (oder Langmut) ihn in groteske Situationen bringt, sich am Ende aber bezahlt macht, hat das Herz am rechten Fleck und überzeugt durch die gewitzte Inszenierung.

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