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Kritik: Berlin am Meer (2007)
Eine schöne neue Welt und
eine vivide Utopie, von die schon viele, wie beispielsweise Kurt Tucholsky
tagträumerisch verklärte: Das coole Berlin mit der anheimelnden Idylle des
Hiddensees zu verschweißen. Hier spielt es sich in einer Wohnung in der
Friedrichstraße ab, vor deren Fenster das pralle Leben pulsiert, während im
Hinterhof die Mini-Brandung der Ostsee auf den Strand spült. Lässt man sich auf
das Erstlingswerk von Wolfgang Eißler ein, dann war diese Vision Mitte der 1990
sichtbar, zumindest im elitären studentischen Milieu. Bei hippen Twens in den
beschaulich-desolaten Kulissen der von den Toten auferstandenen deutschen
Hauptstadt. Das fokussiert Eißler energisch und teilweise didaktisch. Hier
haust Margarete mir ihren WG-Freunden; und es war Sommer; denn hier träumen,
lieben und leiden sie, allen voran die junge Berliner Schauspielerin Jana
Pallaske aus "Was nützt die Liebe in Gedanken". Einmal mehr demonstriert sie in
einer emotionalen Schussfahrt, was mimisch in ihr steckt. Die anderen? Na ja-
während dem einen alles gelingt, scheint der andere das Dauer-Looser-Los
gezogen zu haben. So richtig interessant wird es, als obendrein eine
Politikstudentin für drei Wochen einzieht…
Der 36jährige Filmemacher und Drehbuchautor Eißler hat sein erstes Filmbaby rund um die Metropole mit allzu viel Gequassel bebildert, das urbane Geschehen seit Mitte der neunziger Jahre anscheinend selbst so miterlebt. Doch driftet sein Film in den ähnlichen Gefahrenbereich ab, mit der auch die Stadt selbst konspiriert; einer zu hohen Selbsteinschätzung. Denn Wichtiges sollte lieber stumm statt beredt sein, zumal der Wannsee nie die Wasserqualität einer Starnberger Güte, und der blitzende Fernsehturm nie das magische Funkeln eines Eiffelturmes erreichen wird. Und so sitzen die Möchtegern-Bohemiens um Töpfe mit Spaghetti wie Schweine rund um ihren Futtertrog. Schlagwörter wie „bitch“ sollen dabei Weltoffenheit vermitteln, und ihre pubertären Koma-Stehaufspiele wilde Leichtigkeit des Seins verbreiten.
"Berlin am Meer" ein
typischer Erstlingsfilm mit einer schier unerträglichen Propaganda für die
Schwere des Scheins, der gleichwohl durch seine darstellerische Dynamik vieles
wettmacht. Das gilt für die junge Garde der Nachwuchstalente, allen voran
natürlich Robert Stadlober im Part des orientierungslosen Tom. Und Axel
Schreiber als nonchalantes Falco-Double gewinnt durch seine Dreistigkeit. Schon
vor Jahren wollten andere Regisseure wie Hans Christian Schmid oder Vanessa
Jopp mit Filmen wie "Nach 5 im Urwald" oder "Crazy" ein germanisches
Coming-of-Age-Kino etablieren, das die Probleme juveniler Problemfälle mit den
Eltern oder der ersten Liebe thematisierte. Sie scheiterten irgendwie doch
durch ihre ewig pädagogisierende teutonische Schwermut. Wie man derartiges
richtig spannend und intensiv inszeniert, zeigt beispielsweise das US-Kino par
excellence mit Highlights wie "Brick", "Die Regeln der Gewalt", "Alpha Dog" und
jetzt auch "Juno". Die besitzen Charisma und anmachende Atmosphäre. Hier kann
man sagen "Das hat was" und "Da kommt was rüber"…
Jean Lüdeke