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FBW-Bewertung: Schnee von gestern (2013)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Yael Reuvenys Dokumentarfilm beginnt mit einem Interview ihrer Eltern. Sie können es nicht verstehen, warum ihre Tochter ausgerechnet nach Deutschland gegangen ist. Und wenn sie schon in Deutschland lebt, warum sie dieses Land ihre Heimat nennt. Ihre Heimat sei Israel. Welche Deutung von vielen nahe liegenden Möglichkeiten der Zuschauer hier auch annehmen mag - er wird nicht recht behalten und das, obwohl es in diesem Film um "Schnee von gestern" geht. Die Regisseurin hat von ihrer Großmutter immer wieder die Geschichte vom verlorenen Bruder gehört. Dieser Bruder ? Feiv?ke Schwarz - hatte das KZ Buchenwald überlebt und sollte sich mit seiner Schwester im Sommer 1945 in Lodz treffen. Er erscheint aber nie und so verliert die Großmutter zum zweiten Mal ihren Bruder, von dem sie vermutete, dass er wie die übrige Familie von den Nazis verschleppt und ermordet wurde. Der Krieg, aber besonders dieser zweite Verlust, hat das Leben der Großmutter geprägt und die nachfolgenden Generationen beeinflusst. Um dies zu beschreiben und die eigene Spurensuche zu strukturieren, unterteilt die Regisseurin den Film in die erste, zweite und dritte Generation. Die erste Entdeckung wird für den Zuschauer die Tatsache sein, dass Feiv?ke Schwarz unter dem Namen Peter Schwarz nach dem Krieg in Deutschland geblieben ist. Er hat eine eigene Familie gegründet und ist 1987 in der damaligen DDR gestorben. Yael findet die Schwägerin Ihres Großonkels und entdeckt Stück für Stück einen Teil Familiengeschichte, von der sie und ihre Familie in Israel lange nichtswusste. Bereits hier offenbaren sich die Stärken des Filmes. Mit bewundernswertem Gespür schafft die Regisseurin ein Gleichgewicht zwischen persönlicher Geschichte und historischen Ereignissen herzustellen. Dabei will sie nicht über Geschichte belehren, sondern setzt dieses Wissen voraus, um denKontext, in dem sich die Schicksale ihrer Protagonisten ereignen, zu verstehen. Diese persönlichen Geschichten bringt sie nahe, in dem sie universelle Verhaltensmuster der Generationen aufzeigt. Die erste Generation kann nicht über den Krieg reden und die zweite Generation darf nicht danach fragen. Es scheint, als habe nur die dritte Generation die Chance, die Lücken zu schließen. Immer wieder kehrt die Regisseurin nach Lodz zurück, wo Bruder und Schwester sich verpasst haben. Es ist dieses singuläre Ereignis, mit dessen Bedeutung für ihre beiden Familienteile sie sich nicht abfinden will. Letztlich ist es die Sehnsucht nach der verlorenen Familie, die dem Film seine emotionale Tiefe gibt, der man sich als Zuschauer nicht entziehen kann.
Besonders hervorzuheben sind die Interviews mit der eigenen Familie. Man könnte sie einen Glücksfall für die Regisseurin nennen, wenn nicht klar wäre, dass sie zum einen gut geführt und gut ausgewählt sind. Zum anderen spürt man aber auch in jeder Szene, dass alle Interviewpartner dieses Thema lange mit sich getragen haben und diese Geschichte erzählt gehört.



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