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FBW-Bewertung: Die Blumen von gestern (2015)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Mit DIE BLUMEN VON GESTERN hat Chris Kraus eine erstaunlich mutige undüberraschende Tragikomödie über die Erinnerungskultur und Erforschung des Holocaust inszeniert.
Es geht um einen Holocaustforscher (Lars Eidinger) zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen zwei Frauen und in Verleugnung seiner Vergangenheit. In der Begegnung mit der Enkelin einer Holocaust-Ermordeten eskaliert sein labiles Selbstbild, er stellt seine Ehe in Frage und verliebt sich in die sperrige junge Französin. Dabei entwirft der Film extreme Ambivalenzen in der Charakterzeichnung, und es gelingt ihm, die schwierige Beziehung des Paares überzeugend schauspielerisch zu vermitteln.
In diesem Film ist ein origineller und ungewöhnlicher Umgang mit dem Holocaust-Diskurs zu bemerken. Er ist mitunter entwaffnend ehrlich bezüglich der Holocaustforschung als einer kommerzialisierten Institution.
Auf der schauspielerischen Ebene liefert der Film eine intensive Beziehungsdarstellung, die ein Spiel mit der Erwartung des Publikums geschickt nutzt, lenkt und zuüberraschenden Wendungen führt. In seinen rasanten Dialogen erinnert der Film mitunter an Hollywoods Screwball Comedies oder die Großstadtfilme Woody Allens. Und die letzte Szene des Films mag sogar als Hommage an diese Filme verstanden werden.
Die besondere Leistung des Films liegt darin, den Holocaust-Diskurs der 2010er Jahre differenziert zu vermitteln und einen frischen und neuen Blick auf die Erinnerungskultur in Deutschland zu werfen, die zwischen ethischer Verantwortung und kommerziellen Mechanismen aufgerieben scheint.
Zum Ende hin verliert der Film vielleicht etwas an Fahrt, was mit der ernsthaften Rahmung zusammenhängt ? viele Details aus der Vorgeschichte werden hier später geliefert und verändern die Perspektive, was jedoch zusätzliche Aspekte hervorbringt. Insgesamt muss dieser Film als ein außergewöhnliches Autorenwerk betrachtet werden, das ganz eigene und großartige Qualitäten besitzt.




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