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FBW-Bewertung: Irrational Man (2015)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: In seinem mittlerweile 46. Film erzählt der Regie-Altmeister Woody Allen gewohnt beiläufig und ironisch vom Drama eines Mannes, der einen nahezu perfekten Mord plant und ausführt und damit eine Mechanik des Schicksals in Gang setzt, die er nicht beherrschen kann.

In mancherlei Hinsicht erinnert Irrational Man an Woody Allens Meisterwerk MATCH POINT - wenngleich mit dem Unterschied, dass er seine Geschichte um den abgehalfterten Philosophie-Professor Abe von vornherein als Komödie und eben nicht als Tragödie angelegt hat. Dessen Auftauchen an einem College irgendwo an der Ostküste versetzt schon zuvor die abgeschlossene Welt in Vorfreude und Erregung. Schließlich gilt der Mann als gleichermaßen genial wie labil, eine Mischung, die vor allem auf die Damenwelt des Colleges eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausübt. Und dann die vielen Gerüchte über sein Vorleben - von der Frau wegen des besten Freundes verlassen, ein anderer Freund fiel im Irak einer Landmine zum Opfer - oder war es doch eine Enthauptung? Sicher ist nur eines: Abe hat ein schweres Päckchen zu tragen - und gerade das erhöht seinen Reiz auf die Frauen noch: Schließlich wollen sie ihn gleichermaßen retten wie selbst von ihm gerettet werden aus dem sicheren und langweiligen Dasein, das sie führen. Die eine jüngere gibt für ihn ihrem anständigen Freund den Laufpass (oder nimmt dies zumindest billigend in Kauf, als der ihre Kleinmädchenschwärmerei nicht mehr aushält, die andere ältere würde am liebsten mit diesem großen verstörten Jungen nach Europa fliehen.

Mit viel Lust an derÜbertreibung und Zuspitzung nimmt Allen das Oberschicht-Milieu Neuenglands aufs Korn. Immer wieder gelingen ihm schöne kleine Beobachtungen des universitären Alltags und der gutbürgerlichen vermeintlichen Elite der Ostküste, in deren geordneter Welt sich Abe ausnimmt wie ein verführerischer Dämon.

Weil jener Mephistopheles wider Willen aber selbst dringend nach einem Sinn in seinem Leben sucht, gerät er auf Abwege: Eine zufällige Begegnung in einem Diner versetzt ihn in eine Hybris, die ihn aus seiner schweren Depression gleichsam erweckt: Wenn er einen missliebigen und anscheinend korrupten Richter um die Ecke bringt, dann geschieht dies in der plötzlichen Erkenntnis, doch etwas in der Welt bewegen zu können.

Das Problem an dieser Geschichte, die beinahe schon an den ironischen Grundton britischer?Cozies? wie INSPECTOR BARNABY erinnert: Die Figurenzeichnungen, die Woody Allen hier entwirft, sind wenig glaubhaft, die Konflikte wirken oft nur behauptet und den Verletzungen seines Protagonisten bringt der Filmemacher keinerlei Interesse entgegen. Deshalb betrachtet man den Film zwar bestenfalls amüsiert (trotz erheblicher Längen), aber niemals wirklich involviert. Eine leichte, möglicherweise zu leichte Fingerübung, die aber dank Allens subtilem Witz durchaus unterhält.



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