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FBW-Bewertung: Lord of the Toys (2019)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Der 20-jährige Max Herzberg aus Dresden verdient Geld indem er vor laufender Kamera Waren auspackt, ganz subjektiv bewertet und die gefertigten Clips schließlich auf YouTube einstellt. Damit ist er ein Vorbild vieler Jugendlicher geworden, die ihren Lebensunterhalt, genau wie Herzberg, als Influencer verdienen wollen. Aber Herzberg ist seinen Fans auch deshalb bekannt, weil er beständig seine Clique und sich filmt, wie sie betrunken und pöbelnd die Langeweile totschlagen, rechte Parolen und sexistische Phrasen brüllen und sich untereinander erniedrigen.
In LORD OF THE TOYS folgen Pablo Ben Yakov und André Krummel der Gruppe um Herzberg einen Sommer lang. In schonungsloser Nähe zeigen sie die jungen Leute und ihre Welt, 95 Minuten Dokumentation ohne weiteren Kommentar, von der sich die durchaus Film erfahrene Jury geradezu körperlich angegangen fühlte. Wie sich in der Filmdiskussion zeigte, istLORD OF THE TOYS wirklich starker Tobak.
Ziemlich schnell entfaltete sich ein hochemotionaler Austauschüber die Wirkung der unkommentierten Bilder. Vom puren Erschrecken über die unverstellten Bilder bis hin zur Frage, ob LORD OF THE TOYS diesen pöbelnden und mobbenden jungen Menschen eine Öffentlichkeit verschaffe, die sie nicht verdienen, reichten zunächst die Reaktionen. In den genauso unvermittelten wie unverhohlenen Bildern zeigen sich die YouTube-Stars tatsächlich als gescheiterte Existenzen des realen Lebens. Sie zelebrieren Besäufnisse als apokalyptischen Taumel und werden von ihren Followern für solche Banalitäten geliked. Durch seine entlarvenden Bilder schafft es LORD OF THETOYS auch, gesamtgesellschaftliche Reaktionen und Fragen zu provozieren.
Nach ausgiebiger Diskussion meint die Jury zu erkennen, dass die Stärken des Films im Verzicht auf einordnende Kommentare liegen. Auch wenn seine schonungslose Nähe zunächst Fluchtreflexe auslösen mag, ist diese Distanzlosigkeit auch das, was jene Emotionen frei setzt, die sein Publikum ein Einschreiten der Politik oder einer anderen Aktion gegen solche Zustände fordern lässt. ? LORD OF THE TOYS macht nicht nur auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam, sondern setzt auch den unbedingten Willen nach Abhilfe bzw. Veränderung frei. Insofern bezieht der Film deutlich Stellung - und zwar mit einer solchen Kraft, wie sie nur wenige Filme besitzen.
Ben Yakov und Krummels Dokumentarfilm ist genauso bedrückend wie entlarvend. Dramaturgisch gut aufgebaut, führen die Autoren ihren Zuschauern gesellschaftliche und vielleicht auch gesellschaftsrelevante, zeitgenössische Auflösungserscheinungen vor. Sie zeigen, wie gefährlich die Vernachlässigung sozialer Randgruppen ist, aber auch über welches Potential die social channels verfügen.
Sicherlich ist es möglich, den Film in Ausschnitten oder Gänze für rechte Werbezwecke zu missbrauchen. Allerdings kann sich ? nach Ansicht der Jury ? kein aufgeklärt-mündiges Publikum vom Treiben Max Herzbergs und seinen Kumpels positiv angesprochen fühlen.



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