oder

FBW-Bewertung: Der Geburtstag (2019)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Carlos A. Morellis zweiter Spielfilm DER GEBURTSTAG stellt in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Arbeit dar, die sich absolut wohltuend vom konventionellen Familiendrama abhebt. Im Zentrum des Films steht die Suche eines Vaters nach seiner Rolle im Leben, die ihm nach seiner Trennung irgendwo zwischen zerbrochener Familie und nicht enden wollender Arbeit verloren ging. Der Film behandelt damit einen sehr zeitgemäßen Topos, nämlich die Definition der Beziehung zwischen Vater und Sohn in einer komplexen Gesellschaft, in der alle immerzu zahllosen Verpflichtungen nachkommen müssen und in der jeder versucht, eine Antwort auf die Frage zu finden: Was im Leben ist mir wirklich wichtig?
Was Morellis Ansatz, diese Geschichte zu erzählen, so spannend macht, ist u.a. die Abstraktionsebene, mit der er das Thema angeht. Morelli erzählt nicht konventionell, sondern bedient sich einiger Elemente des Film Noir sowie Verfremdungstechniken, die eher einer klassischen (Alb-)Traum-Dramaturgie entstammen. Bezogen darauf etwa fällt dieEntscheidung, den Film in Schwarzweiß zu drehen, nicht nur als mutig, weil ungewöhnlich aus, sondern als klug und absolut stimmig. Denn nicht allein dadurch ergeben sich fantastische Bilder im Low-Key-Stil, die insbesondere die alptraumhafte Film-Noir-Sequenz in der Mitte des Films tragen. Vielmehr unterstützt das Schwarzweiß auf der Bedeutungsebene eine gewisse Unsicherheit der Erzählebene gegenüber. Nicht nur der von Mark Waschke gespielte Vater selbst, sondern auch die Zuschauer*innen können nie hundertprozentig sicher sein, ob sich das Gesehene wirklich real oder vielleicht doch auf einer allegorischen Ebene abspielt. Dazu passen auch Kostüm und Ausstattung, die ebenfalls leichte Irritationen auslösen, die wunderbaren Locations in Halle, die uns zuweilen ins Wien aus DER DRITTE MANN versetzen, sowie der Oldtimer des Vaters, dessen Innenraum inszeniert ist, als sei er dem Hier und Jetzt vorübergehend entrückt.

All dies sind Zeugnisse einer starken inszenatorischen Leistung sowie eines Drehbuchs, das angesichts des Eigenwilligen nie die Glaubwürdigkeit einbüßt. Waschke spielt die Vaterfigur mit Tiefe und Ausstrahlung und harmoniert gut mit Anne Ratte-Polle sowie den beiden Kinderschauspielern. Einen wunderbaren Kontrapunkt zur schweren Noir-Atmosphäre des Films setzt der äußerst beschwingte Trompetenjazz, der nicht nur für Entspannung sorgt, sondern auf der Audiospur auch eine augenzwinkernde Entsprechung findet für die filmumspannende Sehnsucht des Sohnes: der mit dem Vater gemeinsame Besuch des Elefantengeheges.



Spielfilm.de-Mitglied werden oder einloggen.