oder

FBW-Bewertung: Sonne und Beton (2023)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: David Wnendt hat das autobiografisch inspirierte Buch von Felix Lobrecht verfilmt, der sein Aufwachsen in prekären Verhältnissen im berüchtigten Berliner Ortsteil Gropiusstadt in einem Coming-of-Age-Roman thematisierte und nun auch am Drehbuch mitschrieb. Von den ersten Szenen an wird deutlich, dass SONNE UND BETON sowohl seine Protagonisten als auch seine Lokalität mit Ernst und Einfühlung behandelt: Den "brutalistischen" sozialen Wohnungsbau mit seiner Fallhöhe von wohlmeinenden Architektenplänen und manifester Verwahrlosung, der die reale Gropiusstadt auszeichnet, taucht der Film in grelles Sommerlicht, das atmosphärisch die Hitze spüren lässt. Tempo, Dialogwitz und Schnittrhythmus zeigen, dass der Film eine Realitätsbeschreibung mit Affinität zum Genrefilm anstrebt. Die Hauptprotagonisten, die drei Freunde Lukas (Levy Rico Arcos), Julius (Vincent Wiemer) und Gino (Rafael Luis Klein-Hessling), zu denen später der neue Klassenkamerad Sanchez (Aaron Moldonado Morales) hinzustößt, sind in dem schwierigen Alter, in dem sie von den eigenen Eltern, den Lehrern und leider auch den Mädchen, die ihnen gefallen, noch als Kinder wahrgenommen werden, während sie selbst sich mit durchaus erwachsenen Problemen herumschlagen.

Im Zentrum steht Lukas, der an einem Tag das Pech hat, seinen Schulausweis nicht vorzeigen zu können. Das führt dazu, dass er mit Julius und Gino schließlich im Park rumhängt, wo sie mehr oder weniger freiwillig ins Gehege zweier rivalisierender Dealergruppen geraten. Es kommt zu einer Schlägerei, an deren Ende eines der "Clanmitglieder" von Lucas 500 Euro Entschädigung verlangt. Der Versuch, das Geld aufzutreiben, treibt von da an die Handlung an ? und verführt die Jungs zum Begehen immer größerer Dummheiten.

Während der Plot den Genreregeln von Sozialkrimi und Straßen-Gang-Film folgt, werden mit den vier jugendlichen Helden dem Zuschauer zugleich die Augen geöffnet für eine ungemütliche Welt mit eigenen Regeln im weitgehenden sozialen Aus. Mit großem Nuancenreichtum eröffnet der Film Einblicke in die verschiedenen Elternhäuser, und stellt dabei ohne jeden pädagogischen Fingerzeig den Hintergrund der "Dummheiten", die die Jungs begehen, heraus. Die Umgebung ist gezeichnet von Mängeln aller Art: beengte Wohnverhältnisse machen es schwer, schwelenden Familienkonflikten auszuweichen; die Ungepflegtheit in manchen Haushalten erklären sowohl die Disziplinlosigkeit als auch die Fluchtsehnsüchte der Jungs, während die Straße mit ihren Gangs und Kleinkriminellen sie zu einem Machoverhalten herausfordert, das sie zu schnell als alternativlos begreifen. Hervorragend gecastet sind nicht nur die vier jungen Hauptdarsteller, sondern auch ihre Umgebung, selbst, oder gerade wenn erkennbar wird, dass es sich nicht um professionelle Darsteller handelt, sondern um "von der Straße weg" gecastete Personen. Aber es ist der großartige Auftritt von Levy Rico Arcos, Vincent Wiemer, Aaron Moldonado Morales und Rafael Luis Klein-Hessling, der dem Film sein Herz verleiht und damit absetzt von anderen Möchtegern-Gangster-Filmen.

Sozial- und Genrefilm gehen in SONNE UND BETON eine bestens funktionierende Symbiose ein. Ein entsprechender Musikeinsatz sorgt in der Kombination mit ungewöhnlichen Kamerapositionen für Spannung jenseits der reinen Milieustudie. Gleichzeitig lässt die soziologische Präzision des Geschilderten spüren, dass hier jemand mit Erfahrung geschrieben hat. Dem Film gelingt es, mitzureißen, er besitzt Kraft und Energie und trifft in seinen Dialogen den ambivalenten Ton zwischen Angebersprache und sich hinter großen Sprüchen verbergender Verunsicherung. Mit diesem Eindruck vergibt die Jury das Prädikat BESONDERS WERTVOLL.



Spielfilm.de-Mitglied werden oder einloggen.