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FBW-Bewertung: Abseits des Lebens (2021)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Edee Holzer erträgt es nicht mehr, unter Menschen zu sein. Alle wollen, dass es ihr besser geht, aber sie selbst ist überzeugt, dass sie nur fernab der Gesellschaft und ganz auf sich allein gestellt mit dem Schicksalsschlag, der sie getroffen hat, ins Reine kommen kann. So macht sie sich auf nach Wyoming, wo sie ein unbewohntes Grundstück mit einer Blockhütte hoch oben in den Rocky Mountains erwirbt. Unterwegs hat sie sich mit Proviant, Werkzeug und Naturführern eingedeckt, die ihr das Überleben in der Wildnis ermöglichen sollen, wo sie nicht nur auf ihr Telefon, sondern selbst auf ein Auto verzichten will. Es soll für sie keinen Weg zurück mehr geben. Doch als der harte Winter einbricht, kommt Edee an ihre Grenzen. Verletzt und völlig dehydriert, wird sie von dem einheimischen Jäger Miguel in Begleitung der Krankenschwester Alawa aufgefunden. Aber Miguel wird nicht nur ihr Lebensretter, sondern ein unerwarteter Verbündeter und Lehrer. Er bringt ihr das Jagen und Fallenstellen bei, das ihr erlauben soll, ihre Selbst-Isolation aufrecht zu erhalten. Dafür muss Miguel Edee versprechen, ihr bei seinen Besuchen nichts von der Außenwelt zu erzählen. Aber er spricht auch sonst nicht viel, ist selbst von einem Trauma gezeichnet.

Das Regiedebüt der Schauspielerin Robin Wright ist ein intensives psychologisches Drama vor großartiger Naturkulisse, im Grunde ein Kammerspiel im Gewand eines Bergfilms. Es geht allerdings nicht um die Bezwingung der Natur, sondern um das Überleben unter extremen Widrigkeiten. Die große Katastrophe ist bereits eingetreten, bevor der Film beginnt. Dies wird in der längeren Titelsequenz, in der Edee im Auto von Chicago nach Wyoming unterwegs ist, in einigen knappen eingeflochtenen Szenen angedeutet, in denen sie beispielsweise im stockenden Gespräch mit einer Therapeutin zu sehen ist, oder mit ihrer besorgten Schwester, der sie versprechen muss, sich nicht das Leben zu nehmen. Später gibt es kurze Flashbacks von einem Mann und einem Kind, die erahnen lassen, welchen Verlust sie erlitten hat. Um mit ihrem Schmerz und der inneren Leere fertig zu werden, entscheidet sie sich, radikal mit ihrem bisherigen Leben zu brechen und die äußere Leere in der Einsamkeit der Natur zu suchen. Dabei ist sie nicht suizidal, sondern trifft gewisse Überlebensvorsorge. Und doch nimmt sie durchaus in Kauf, dass die Naturgewalten ihr das Leben kosten können.

Das würde ja auch beinahe so geschehen, wenn ihre Hütte nicht auf dem Weg von Miguel gelegen hätte, der, unterwegs zur Jagd, in einem Akt der Menschlichkeit eingreift und Edee damit nicht nur das Überleben ermöglicht, sondern tatsächlich einen Weg zurück ins Leben weist. Miguel akzeptiert Edees Regeln und Prämissen, aber vor allem hat er selbst eine ganz ähnliche Erfahrung durchgemacht wie sie und kann nachempfingen, wie es um sie steht. So entwickelt sich allmählich eine sehr besondere Freundschaft zwischen den beiden Menschen, die nicht über ihre Vergangenheit sprechen wollen, aber wissen, wie sie sich gegenseitig helfen können. Durch den Verlauf seiner Geschichte und der Entwicklung Edees ist ABSEITS DES LEBENS ? obwohl am Ende wiederum ein Verlust steht ? eine durchaus hoffnungsvolle Geschichte über einen Heilungsprozess nach einer Tragödie, der ermöglicht wird durch die von Fürsorge und Mitgefühl geprägte Verbindung zweier Menschen.

Diese Transformation wird überzeugend vermittelt durch großartige Schauspielleistungen: Das ist in erster Linie Robin Wright selbst, die neben der Regie auch die Hauptrolle übernommen hat. Sie ist in nahezu jeder Einstellung zu sehen und trägt den Film allein durch ihre physische Präsenz. Ihr zur Seite steht Demián Bichir als Miguel. Die beiden harmonieren hervorragend, und brauchen dazu kaum Worte. Beide agieren sehr zurückgenommen, zeigen aber die Verletztheit ihrer Figuren in jedem Blick und jeder Geste. Neben den beiden gibt es nur wenige weitere Personen, eine zentrale Rolle in dem Film, der im Original den Titel ?Land? trägt, spielt dagegen die Natur.

Der Film kommt mit einem Minimum an Dialogen aus und erzählt seine Geschichte hauptsächlich in Bildern. Es gibt beeindruckende Panoramen grandioser Berglandschaften, die sich im Rhythmus der Jahreszeiten verändern. Kameramann Bobby Bukowski schafft eine gute Balance zwischen Nahaufnahmen, die die Charaktere in ihrer Fragilität erkennen lassen, und stimmungsvollen Totalen. Sie zeigen die faszinierende Schönheit der nahezu unberührten Natur, aber auch ihre enormen Ausmaße und gewaltigen Kräfte. Vor allem wird deutlich, wie klein die Menschen ? und was auch immer sie bedrücken mag ? ihr gegenüber sind. Das wird auch im Sounddesign deutlich, das sich an Edees Wahrnehmung ihrer Umgebung orientiert. Auch das bedachte Set Design reagiert sensibel auf den Wechsel der Jahreszeiten und Edees Erleben des Ortes. Abgerundet wird der Eindruck von einem gelungenen Score.

ABSEITS DES LEBENS ist ein meditatives Drama, das die Reise seiner Protagonistin in ruhigem Tempo begleitet und das Augenmerk auf die kleinen Veränderungen legt. Das Publikum, das sich darauf einlässt, wird belohnt durch eine berührende Geschichte vor grandioser Landschaftskulisse.



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