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FBW-Bewertung: Spencer (2022)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Pablo Larraìn hat seinem Film vorangestellt, er sei eine ?Fabel über eine wahrhafte Tragödie?. In den folgenden knapp zwei Stunden ist ihm dann in der Tat ein fabelhafter Film über eine tragische Geschichte gelungen, der meisterhaft auch Wahrhaftigkeit erreicht mit allen filmischen Mitteln.

Das beginnt mit einer zwingenden Bildfindung ? angefangen von der Ankunft der Küchenbrigade ? auf Schloss Sandringham Weihnachten 1992. Schon in der Eingangssequenz des gestaffelten Ankommens von Personal und Familie sind Morbidität, emotionale Kälte und militärische Strenge eingeführt: die Faktoren des Lebens in der königlichen Familie, an denen Lady Diana zu zerbrechen droht. Die Beklemmung wird fortan unser Begleiter sein, wunderbar aufgebrochen in kurzen Momenten des Glücks ? beim Spiel Lady Spencers mit ihren Kindern, Szenen mit ihrer Kammerzofe sowie der alleinigen Besinnung.

In der aufgeheizten Diskussion um Schuld und Versagen in der königlichen englischen Familie gerade auch in Boulevardmedien ist es befreiend fair, dass Larraìn es sich nicht leicht macht, sondern das Gut-Böse-Schema vermeidet und niemanden diffamiert. Denn alle Beteiligten werden nicht in Täter und Opfer geteilt, vielmehr wird allen Beteiligten außer Lady Di zugestanden, Pflicht vor Neigung zu erfüllen und in entscheidenden Momenten sogar Verständnis, Selbstironie und Menschlichkeit zeigen zu können. Das Funktionieren-Müssen der Royals wird als Fassade gezeigt, was die königliche Familie gezwungenermaßen und verinnerlicht praktiziert. In diese Maschinerie kann sich Lady Diana aber nicht mehr einfügen, wenn sie sich nicht selbst zerstören will, und auch um ihre Kinder vor deren inneren Deformierung zu schützen. Damit wird SPENCER zu einem Biopic von Lady Di, kunstvoll und intelligent komprimiert auf drei Weihnachtstage, an denen sich alles psychologisch geschickt zeigen und spiegeln lässt. Gleichzeitig ist SPENCER ein ermutigender Film der aktiven Emanzipation aus Familienstrukturen und Zwängen.

Larraìn verwendet dazu alle filmischen Mittel: elegante Kamerafahrten, wenn sich Diana in Traum- und Erinnerungssequenzen verliert wie eine ruhige Schnittabfolge, die ein genau angemessenes Tempo aus Stagnation und Ausbruchsenergie spüren lässt. Im barocken Dekor wird nicht effekthascherisch geschwelgt, sondern die Ausstattung bekommt eine eigene Rolle: als historische Last, beklemmende Schwere, sinnlose Antiquiertheit und doch Nebensächlichkeit in dieser allgemeingültigen Tragödie einer Frau.

Das alles hat die Jury zur Erteilung des höchsten Prädikates BESONDERS WERTVOLL bewogen, mit dem Teileinwand eines Teils der Jury, dass ein weiterer Film über Diana oder die Königliche Familie doch eigentlich überflüssig scheint. Aber, auch da ist sich die Jury, einig: Die Allgemeingültigkeit dieser ?Fabel? der Befreiung hilft über diesen Einwand hinweg.



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