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FBW-Bewertung: Tausend Zeilen (2022)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Eine Fälschungsaffäre bei einer der großen deutschen Informationszeitschriften? Das hat es doch schon einmal gegeben ? sowohl in der Realität wie auch in der Verarbeitung als satirischer Spielfilm. Doch TAUSEND ZEILEN ist nicht SCHTONK! 2, obwohl es einige Parallelen gibt. Beide Filme basieren auf realen Vorkommnissen. Bei beiden Filmen führte der jeweils bekannteste deutsche Komödienmacher seiner Zeit Regie: 1992 Helmut Dietl, 2022 Michael Bully Herbig. Und in beiden Filmen sind die Herren in den Chefetagen die wichtigsten Zielscheiben der satirischen Angriffe. Doch davon abgesehen, hat TAUSEND ZEILEN eine andere Dramaturgie, denn hier wird vom Duell zweier Reporter erzählt, die beide eine völlig gegensätzliche Vorstellung von investigativem Journalismus haben.

Juan Moreno (im Film Juan Romero), auf dessen Buch ?Tausend Zeilen Lügen? der Film zum Teil basiert, ist der gewissenhaften Recherche verpflichtet, Lars Bogenius (der reale Name Class Relotius durfte wohl aus rechtlichen Gründen nicht verwendet werden) ist der Shootingsstar des deutschen Journalismus, dessen Texte zu gut sind, um wahr zu sein. Schon äußerlich sind die beiden sowohl in der Realität wie auch dargestellt von Elyas M´Barek und Jonas Nay extrem gegensätzlich: der liebe Bär und der fiese Fuchs. Und mit diesen Bildern spielt Michael Herbig auch, wenn er etwa Romero dadurch einführt, dass dieser ein zotteliges Kuscheltier für seine Kinder kauft und Bogenius immer isoliert in Luxusumgebungen gezeigt wird. Der Film zeigt, wie Romeros Recherchen schließlich dazu führen, dass Bogenius als Fälscher überführt wird. Bis zuletzt muss er sich dabei gegen die Widerstand der Chefredaktion durchsetzen, die sich lieber mit den Federn ihren preisgekrönten Edelschreibers schmücken, als kritisch dessen Materialien und Methoden zu hinterfragen. Herbig nutzt den Film selbst als ein stilistisches Mittel, um diese so gefeierten Texte lebendig werden zu lassen. In kurzen Sequenzen werden Situationen aus den Texten von Bogenius als Filmsequenzen so inszeniert, als ob sie ?wahr? wären. Später werden dann alternative Versionen dieser Sequenzen gezeigt, in denen auch sie als Fälschungen kenntlich gemacht werden. Herbig dekonstruiert so diese Lügengeschichten. So wird die Fiktionalisierung der Realität auch in den Bildern thematisiert. In einer anderen Sequenz macht Herbig ebenfalls das Gesehene als Fiktion kenntlich: Bogenius erzählt da eine Geschichte von einem alten Mann, der gegen einen Boxer in den Ring geht, und diese Sequenz ist im Stil eines Stummfilms in schwarzweiß gedreht. Hier hat der Filmkomiker Herbig eine kleine Hommage an Charlie Chaplin, einen der größten seiner Zunft, in den Film geschmuggelt.

TAUSEND ZEILEN zeigt auch, unter welchen Belastungen Romero seiner Recherche fertigstellen muss, wenn sein Familienleben, in dem er vorher als liebevoller Vater und Ehemann dargestellt wird, droht unter dem Druck auseinanderzubrechen. Bogenius wirkt dagegen immer mehr wie ein Gehetzter, und es gibt im Film keine Einstellung, in der er seinen Erfolg und sein Luxusleben genießt. TAUSEND ZEILEN ist ein klug konstruierter und stimmig inszenierter Unterhaltungsfilm, der dadurch überrascht, dass Herbig und der Drehbuchschreiber Hermann Florin ihn nicht komödiantisch überfrachtet haben, sondern statt dessen mit einer dem Thema angemessenen Ernsthaftigkeit deutlich machen, wie es möglich war, dass auch beim Spiegel so lange gefälscht werden konnte.

Im Anschluss an eine spannende Diskussion und in Abwägung aller Argumente erteilt die Jury dem Film gerne das Prädikat WERTVOLL.



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