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FBW-Bewertung: Bones and All (2022)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Wie fühlt es sich an, anders zu sein und ausgestoßen und darum wissend, dass man aufgrund des eigenen Seins, der eigenen Veranlagung immer eine Fremde, eine Außenseiterin sein wird? Diesen Fragestellungen, die zugleich Chiffren sind für die Suche nach der eigenen Identität, die vor allem die Zeit der Adoleszenz auszeichnet, bilden den Hintergrund von Luca Guadagninos neuestem Werk Bones and All.

Eingebettet ist dieser Film zeitlich in die Reagan-Jahre der 1980er, was vor allem der sorgsam ausgewählte Soundtrack mit Pop- und Underground-Songs jener Zeit eindrucks- wie wirkungsvoll unterstreicht. örtlich wiederum in die ländlichen Regionen der USA und in Sachen Genre im Niemandsland zwischen blutigem Horrordrama, einer romantisch anmutenden Coming-of-age-Geschichte und Elementen des Road Movie, wobei hier ein fast schon soziologisch sezierender Blick die Besitz- und Klassenverhältnisse der Reagan-Jahre schonungslos entblößt.

Die Jury fühlte sich ebenso an Julia Ducournaus Erstling RAW erinnert wie auch an Tomas Afredsons SO FINSTER DE NACHT aus dem Jahre 2008 - in beiden Werken verbinden sich ebenso wie in BONES AND ALL Horrormythen wie Kannibalismus und Vampirismus mit komplexen Erzählungen über Kindheit und das Heranwachsen. Behandelt wird das Außenseitertum sowie die existenzielle Erfahrung von Fremdheit in der Welt. Zugleich aber ist der Film geprägt von einer ganz eigenständigen Ästhetik, von zahlreichen falschen Fährten, die der Film immer wieder auslegt, vom Mut zur außergewöhnlichen, aber nach Meinung der Jury nicht immer stringenten Dramaturgie und zur expressiven und nicht immer fein nuancierten Figurenzeichnung. Zugleich fällt auf, mit welch großer Sorgfalt Kostüm- und Szenenbild ausgearbeitet sind, wie feinfühlig und dann wieder im nächsten Moment brachial die Kamera dem atemlosen Geschehen der verschiedenen Akteur*innen folgt, wie treffsicher die Musikauswahl den Zeitgeist einerseits und die innere Verfasstheit der Held:innen andererseits kommentiert und einrahmt.

Guadagninos neues filmisches Werk ist aufgrund der zahlreichen bewussten narrativen, moralischen wie filmästhetischen Grenzüberschreitungen mit Sicherheit ein Film, der polarisiert. Und das bezieht sich keinesfalls nur auf das Publikum, sondern spiegelt sich auch in der lebhaften und kontroversen Diskussion innerhalb der Jury wieder, die sich nach langem Für und Wider für die Vergabe des Prädikats WERTVOLL entschied.



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