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FBW-Bewertung: Elaha (2023)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Schon das erste Bild mit Elaha weckt den Verdacht, dass dieser Film uns als Publikum gezielt herausfordern will. Denn die Protagonistin sieht uns durch die Kamera herausfordernd an. Und gleichfalls schon sehr früh ? in der ersten Sequenz, die auf einer kurdischen Hochzeit spielt ? stellt sich heraus, dass Elaha ein Geheimnis mit sich trägt, das sie weder ihrem kurdischen Verlobten Nasim und dessen Familie noch ihren eigenen kurdischen Eltern verraten kann: Sie geht nicht jungfräulich in die Ehe. So versucht Elaha alles, damit beim ersten Sex nach der Heirat die erwartete Blutung einsetzt. Eine Operation aber ist teuer und die Zeit läuft ihr davon.

Elaha auf ihrem Weg der Problemlösung zu begleiten, ist physisch wie psychisch eine Herausforderung für das Publikum. Die Kamera folgt ihr auf Schritt und Tritt, wird aber nie aufdringlich (auch bei Intimszenen nicht), bleibt vielmehr einfühlsam und wertet nicht. Dabei geraten Elahas Versuche, ihren Kopf aus der Schlinge patriarchaler Strukturen ziehen, zunehmend ambivalent, zumal sie es allen recht zu machen versucht. Lange Zeit geht sie dabei auffallend konzentriert und diszipliniert vor und nutzt alle Möglichkeiten, die sich ihr bieten. In ihren Freundinnen hat sie wichtige Verbündete. Auch sie widersetzen sich im Geheimen den Regeln, die nur ihnen, nicht aber den Männern auferlegt werden. Doch der Druck auf Elaha steigt kontinuierlich und erzeugt eine Belastung, die irgendwann nicht mehr auszuhalten ist. Dies wird dramaturgisch überzeugend aufgebaut und von Bayan Layla ebenso überzeugend verkörpert. Durch den starken Fokus auf die Protagonistin geraten einige Figuren, so etwa ihr Vater, der ehemalige Häftling Yusuf und auch die Lehrerin Stella etwas schwächer konturiert. Andererseits ist dieser so schwache und nebengeordnete Charakter des Vaters auch ein geeignetes Zeichen dafür, dass das patriarchale System bereits im Niedergang begriffen ist.

Das Dilemma, in dem sich Elaha befindet, manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass sich der Film einem geschlossenen Ende verweigert. Genau genommen hat der Film mehrere Enden. Für Elaha ist der Suizid keine Lösung, aber auch eine Ehe mit Nasim oder ein kompletter Ausbruch aus ihrem soziokulturellen Umfeld, um es mit dem einfühlsamen Yusuf zu probieren, sind allesamt Lebenskonzepte auf wackligen Füßen. Die Erzählung muss offen bleiben, denn für Elaha wird es keine leichte Lösung geben. Hierfür findet der Film ein beeindruckendes Schlussbild.

Der erneute Blick Elahas in die Kamera gegen Ende rahmt die Handlung ein, steht aber eher für die Offenheit eines Films, dessen Qualitäten die Jury uneingeschränkt als ?Besonders Wertvoll? beurteilte.



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