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FBW-Bewertung: The Holdovers (2023)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Alexander Paynes THE HOLDOVERS ist ein Film, der mit voller Absicht so wirken will, als sei er aus der Zeit gefallen: Der Plot spielt um die Jahreswende 1970/71, der Soundtrack, der Rhythmus seiner Erzählung und überhaupt die ganze Anmutung dessen, wie er gedreht ist, imitieren die körnige Ästhetik der Autorenfilme der 1970er Jahre. Wie zeitgemäß THE HOLDOVERS aber tatsächlich ist, stellt sich erst nach und nach heraus. Und trifft dann umso mehr ins Schwarze.

Es liegt eine Entspanntheit in diesem Film, die im Kontrast steht zu der angespannten Situation, in der sich seine drei Hauptfiguren befinden. Der Latein-Lehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) ist gestresst, weil er sich um die Gruppe von Schülern kümmern muss, die über die Weihnachtsfeiertage aus verschiedenen Gründen nicht nach Hause fahren können. Die Köchin Mary Lamb (Da'Vine Joy Randolph) trauert um ihren kürzlich im Vietnamkrieg umgekommenen Sohn, der Schüler Angus Tully (Dominic Sessa) ist enttäuscht und verbittert, dass seine Mutter mit ihrem neuen Mann lieber ohne ihn Ferien macht. Was sich zwischen diesen drei Figuren zuträgt und entwickelt, davon erzählt der Film in großartig präzis geschriebenen Dialogen und einem Plot, der mehr mäandert, als dass er vorantreibt.

In bemerkenswerter Weise lässt der Film die Wandlungen seiner Charaktere offenbar werden, die nie ganz vorhersehbar sind und die Figuren damit dreidimensional und sehr realitätsnah aussehen lassen. Dabei ist THE HOLDOVERS ein Coming-of-Age-Film, der alle Fallen des fast im Übermaß vertrauten Genres kunstvoll umschifft. Selbst in seinen turbulenten Szenen vermeidet er das hohe Drama, und bleibt dabei, anhand von kleinen, alltäglichen Dingen und Geschehnissen das Innenleben seiner Figuren sichtbar werden zu lassen. Handwerklich in jeder Hinsicht gut gemacht, und von den beteiligten Schauspielern exzellent gespielt, kann man jede Haltung und jede Regung, im Positiven wie im Negativen, sehr gut nachvollziehen. Die Brücken, die er aus der Zeit des Vietnamkriegs, als die USA wie heute sehr polarisiert waren, zum Hier und Jetzt schlägt, werden erst im Lauf des Films offensichtlich. Die Konzentration auf das Zwischenmenschliche macht THE HOLDOVERS aber nicht zum weichgespülten Feelgood-Movie, sondern im Gegenteil, zum packenden Aufruf dazu, Empathie zu zeigen, gerade auch mit Figuren, die zuerst unsympathisch oder unverständlich erscheinen. Sehr gerne verleiht die Jury dem Film das höchste Prädikat BESONDERS WERTVOLL.



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