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FBW-Bewertung: Sieger Sein (2024)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Wie kann sich ein junges deutsches Kinopublikum in eine 11jährige Kurdin einfühlen, die mit ihrer Familie aus Syrien geflohen ist und nun an einer Grundschule im Berliner Wedding lernen muss, sich in der für sie völlig fremden neuen Umgebung zu behaupten? Die kurdisch/deutsche Regisseurin Soleen Yusef ist selber als Neunjährige mit ihrer Familie nach Deutschland gezogen und man kann spüren, dass sie bei SIEGER SEIN aus ihren eigenen Erfahrungen schöpft. Um das Fremdeln des überwiegend deutschen jungen Zielpublikums mit ihrer Protagonisten Mona von der ersten Einstellung an zu überwinden, lässt sie sie direkt in die Kamera sprechen. Und zwar in fehlerlosem Deutsch, obwohl sie sich tatsächlich nur in sehr gebrochenem Deutsch verständlich machen kann. Doch durch diese Durchbrechung der vierten Wand spricht sie die Zuschauer*innen persönlich an, und so sieht man die Welt mit ihren Augen. Man spürt Monas Wut darüber, dass sie in der Schulklasse ausgegrenzt wird, ihre Trauer darüber, dass sie ihre Heimat verlassen und ihre geliebte Tante verloren hat ? aber auch die Stärke dieses jungen Mädchens, das besser Fußball spielen kann als die Jungs. Ihr Sportlehrer, den alle nur Herrn Che nennen, erkennt ihr Talent und fördert sie, sodass sie bald in der Mädchenmannschaft im Tor steht und der Film den bewährten Konventionen des Sportfilms folgt, denn die Mannschaft aus dem ?armen Wedding? ist der extreme Außenseiter beim alljährlichen Schulturnier im Hallenfußball und Mona hat noch nicht einmal Fußballschuhe. Natürlich kämpft ihre Mannschaft dann doch im Endspiel um den Pokal, aber das im Titel versprochene ?Sieger sein? wird hier viel tiefer und komplexer verstanden, denn während der sportliche Wettkampf für Spannung sorgt, wird auch davon erzählt, wie die Schülerinnen lernen, auch in der Schule solidarisch miteinander etwas zu erreichen. Weil Soleen Yusef von den chaotischen Zuständen an Schulen in weniger privilegierten Berliner Stadtteilen erzählen will und nebenbei auch noch ein paar Lektionen über die Vorzüge des demokratischen Systems in ihren Film eingeschmuggelt hat, ist dieser mit knapp zwei Stunden Laufzeit vielleicht ein wenig lang für einen Kinderfilm geworden. Aber dieses Manko wird dadurch wettgemacht, dass der Film extrem authentisch wirkt und mit einer coolen ?street credibility? erzählt wird, die nie bemüht oder anbiedernd wirkt. Soleen versucht den Rahmen eines Sportfilms so prall und energiegeladen wie möglich ausfüllen, und es gelingt ihr, alle Filmfiguren als komplexe und glaubwürdige Charaktere zu präsentieren. Dies ist besonders bei den Lehrern und Lehrerinnen bemerkenswert, denn in anderen Filmen für Kinder und Jugendliche sind die Erwachsenen meist inkompetent, autoritär oder lächerlich. Doch in SIEGER SEIN geht die Kamera auch ins Lehrerzimmer ? und dort wird niemand als eine Karikatur gezeichnet. Im Gegenteil: Der Sportlehrer Herr Che ist einer der Helden des Films ? er ist die Lehrkraft, die die Talente der Schüler*innen erkennen und sie inspirieren kann. Auch bei der Zeichnung der Familie von Mona verzichtet Soleen Yusef auf Klischees. Die stimmige Besetzung auch bei den Nebenrollen, die authentische Ausstattung, durch die der Film zum Teil wie eine Milieustudie wirkt, und das positive Lebensgefühl, dass er vermittelt, machen SIEGER SEIN zu einem außergewöhnlichen Kinder- und Jugendfilm ? man kann auch sagen: zu einem wirklichen Sieger.





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