Die Gleichung ihres Lebens (2024)

"Die Gleichung ihres Lebens“: Mathematikerin aus Leidenschaft

Es gibt weltweit nicht viele Menschen, die sich ernsthaft in die Zahlentheorie und als unbeweisbar geltende mathematische Regeln wie die Goldbachsche Vermutung vertiefen. Marguerite Hoffmann, die Hauptfigur des hochinteressanten Dramas "Die Gleichung ihres Lebens“ der Regisseurin Anna Novion ("Rendezvous in Kiruna“), ist eine von ihnen. Mit ihrem Können und weil sie eine Frau ist, fällt die Doktorandin der Mathematik an der Pariser Elite-Uni ENS auf wie ein bunter Hund. Die scheue Marguerite verschließt sich anderen Menschen gegenüber, weil sie nicht versteht, nach welchen Regeln sie sich verhalten. Die Liebe zur Mathematik aber kann sie nicht davor bewahren, das Leben kennenzulernen.

Eine Frau, die auf die Logik setzt

Eine nüchterne Realitätsnähe zeichnet diese Geschichte wie so viele zeitgenössische Filme aus Frankreich aus. Bemerkenswert ist vor allem, mit wie wenigen, genau beobachteten Szenen eine Handlung erzählt wird, deren dramatischer Gehalt andere Regisseure wohl dazu verleitet hätte, alles stärker aufzubauschen. Marguerite erfährt schmerzlich, dass die universitäre Forschung einem Haifischbecken gleicht und selbst auf den eigenen Doktorvater kein Verlass ist. Weil sie sich ausgebootet fühlt, kehrt Marguerite der Uni den Rücken.

Ella Rumpf spielt die junge Frau hervorragend als zumeist sachlich agierende, in sozialen Dingen aber ungeheuer linkische Person. Sie muss sich erst von der besorgten Mutter emanzipieren. Ihre Freundschaft mit der lebenslustigen Mitbewohnerin Noa gibt ihr wichtige Impulse, bleibt aber verhalten. Humorvoll wird es, wenn Marguerite einem jungen Mann nachstellt und sich ein sexuelles Erlebnis verschafft. Auch wenn sie, davon beflügelt, bei der Arbeit ein paar tänzelnde Bewegungen wagt, entfaltet der Film wieder mit sparsamen Mitteln großen Charme.

Drama der leisen Töne

Eine Mathematikerin aus Leidenschaft aber kann nicht aufhören, Formeln zu erproben, zu erweitern und durch neue zu ersetzen. Die Wände der Wohnung sind bald vollgeschrieben, Marguerite balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. In die Arbeit mit dem Mathematiker Lucas schleichen sich Gefühle ein. Auch für diesen romantischen Strang nimmt sich der Film Zeit, um die Charaktere atmen zu lassen, statt sie in vorgezeichnete Bahnen zu drängen. Eine zärtliche Poesie wird spürbar in diesem außergewöhnlichen Drama, das mit seinen leisen Tönen und hervorragenden Darsteller*innen zu fesseln vermag.

Fazit: Eine begabte junge Mathematikerin und soziale Außenseiterin scheitert an der Universität und tritt hinaus ins Leben. Aus dramatischen Inhalten wie Intrigen in der Forschungswelt, der Einsamkeit einer scheuen Frau in einer von Männern dominierten Umgebung, der Entdeckung der Liebe strickt die Regisseurin Anna Novion einen realitätsnahen Spielfilm, der laute und schrille Töne meidet. Die vielschichtige Hauptfigur, der sparsame, verhaltene Erzählstil, die genauen Beobachtungen, die Mischung aus nüchternen und sanft berührenden Szenen entfalten ihren Charme auf nachhaltige Weise.