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Simon (Sebastian Schipper) und Hanna (Sophie Rois) in...Drei'
Simon (Sebastian Schipper) und Hanna (Sophie Rois) in 'Drei'
© X Verleih

Gespräch mit Autor und Regisseur Tom Tykwer

Nach drei großen, internationalen Produktionen, kehren Sie jetzt nach Deutschland zurück, kommt Ihnen hier jetzt alles sehr klein vor?

Diesen Unterschied merkt man gar nicht, wenn man an einem Film arbeitet, weil man in diesem Tunnel steckt, der bei allen Filmen ähnlich ist. Im inneren Zirkel von rund zwanzig Leuten um die Kamera fühlt sich das immer ähnlich an, nur wenn man um die Ecke schaut, merkt man vielleicht, dass da noch fünfzig LKWs mehr stehen. Der größte Unterschied bei komplexeren Produktionen liegt in der längeren Vorbereitung, da kann man eben nicht wie hier, drei Monate nachdem das Buch fertig ist, mit dem Dreh anfangen. Wenn alle Drehorte mehr oder weniger in Fußweite sind, und man auch nicht so viel umbauen muss, weil man vieles so haben möchte wie es ist, reduziert das den Aufwand.

Angefangen hat alles damit, dass Sie mal wieder in Deutschland drehen, und diesem Land auf den Puls fühlen wollten. Was war konkret der Anfang dieser Geschichte?

So einen konkreten Ausgangspunkt hatte ich gar nicht, vor allem hatte ich das Bedürfnis, mal wieder in der eigenen Sprache zu drehen. Auch wenn ich Englisch inzwischen wirklich gut und fließend beherrsche, ist es trotzdem nicht meine Sprache und wird es auch nie werden. Ich wundere mich immer über diese Erzählungen von Billy Wilder, der nach einem Jahr morgens aufwacht und merkt, dass er auf Englisch geträumt hat, und wusste, dass er jetzt wirklich angekommen ist. Mir ist das so nie passiert, was nicht heißt, dass ich darunter leide, das hat ja auch Vorteile. Wenn man immer noch so eine bestimmte Art von Übersetzung leisten muss, entsteht eine analytische Distanz, die das Gesagte auch präziser macht. Was dagegen fehlt, ist das ganz direkte, suchende, frei assoziierende Sprechen, diese Art wie man beim Denken nach Worten sucht, und im Gespräch gemeinsam mit den Schauspielern nach etwas sucht. Dazu kommt natürlich, dass mir diese Menschen von vornherein vertrauter sind, weil sie aus meiner Kultur, und in diesem Fall sogar aus meiner Generation kommen und einen ähnlichem Background haben wie ich. Ich wollte einfach mal wieder genauer wissen, von wem da eigentlich die Rede ist.

Was bei Ihnen ja Methode hat: Über die Jahre sind Ihre Helden mit Ihnen reifer geworden.

Für mich ist das nahe liegend, Konflikte zu thematisieren, die mit der eigenen Lebenssituation zu tun haben, unter Menschen, die ungefähr aus der eigenen Generation kommen. Selbst wenn ich mich beispielweise mal mit einem Teenager befassen sollte, würde ich das wahrscheinlich auch in irgendeiner Weise biografisch koppeln, sonst würde mir einfach der Bezug fehlen.

Dieser Film ist der Versuch einer Bestandsaufnahme, und zugleich ein ziemlich provokantes Spiel mit den Möglichkeiten moderner Beziehungen, fast so eine Art Versuchsanordnung zum Thema Beziehung...

Diese Betonung des Experiments ist für mich sehr befreiend, denn darin wird der verspielte Charakter des Films hervorgehoben. Jede Situation, jede Begegnung ist ein Konstrukt, das von unglaublich vielen, unberechenbaren Parametern bestimmt ist, von all den Zufällen, die uns ständig widerfahren. Da ist allein schon die ungeheuer wichtige Frage des Timings: Wann trifft man jemanden, in welcher Situation? Was wäre passiert, wenn man einer Person zu einer anderen Zeit, bei anderer Gelegenheit begegnet wäre? Wie anders wäre das Leben verlaufen? All die Umstände, von denen es abhängt, ob man von einem Attraktivitätssignal getroffen wird. Manche Menschen hat man schon zehn Mal gesehen, und dann entdeckt man beim elften Mal plötzlich etwas, das einem vorher noch nie aufgefallen ist, und man nimmt jemanden ganz überraschend erotisch wahr. Diese überwältigende und mich manchmal auch einschüchternde Willkür der emotionalen und affektiven Irrungen und Wirrungen fasziniert mich.

Gibt es konkrete, persönliche biografische Anknüpfungspunkte?

Biografisch in dem Sinne ist das nicht, es ist eher so, dass ich mich mit den Gefühlen auskenne, die da herrschen, weil mir die Menschen vertraut sind, ich kenne sie, verstehe sie und weiß woher es kommt, was sie tun und sagen und fühlen. Jeder Film ist der Versuch, die persönlichen Themen und Erfahrungen auf ein anderes Spielfeld zu rücken.

Haben Sie selbst die Midlife Crisis, um die es da auch geht, schon gestreift?

Zumindest weiß ich, was es bedeutet, eines Morgens mit dem Bewusstsein aufzuwachen, dass man das Leben nicht mehr von der Geburt weg, sondern auf den Tod hin lebt. Wenn man den etwas unbedarften Glauben an die Vorwärtsbewegung des Lebens, diesen Unendlichkeitsgestus verliert, entdeckt man darin eine bisher unbekannte Unsicherheit, was ja gleichbedeutend mit einer Krise ist. Bei manchen Menschen stellt sich dieses Bewusstein, dass die Zeit abläuft eher ein, bei mir war es relativ spät. Manchmal wird das durch konkrete Einschnitte ausgelöst, wie hier der Tod der Mutter oder eine schwere Krankheit. Aber es kann auch passieren, dass man sich auf unerwartete Weise mit jemandem verstrickt, und sich einem dadurch plötzlich ganz andere Möglichkeiten eröffnen, dass man ein ganzes Feld entdeckt, das man nie bestellt hat, und das ist ja immer einigermaßen verunsichernd und dadurch auch krisenträchtig.

Im Vergleich zu Ihren früheren Filmen, wirkt dieser sehr viel leichter, freier und verspielter: Hat das vielleicht auch mit einer Entspanntheit und Lässigkeit zu tun, die sich mit zunehmender Reife einstellt?

Das kann ich gar nicht sagen, ich bin nur erstaunt, dass ich plötzlich selbst soviel über meinen eigenen Film lache. Ich weiß natürlich nicht, ob das anderen genauso geht, Humor ist ja auch Geschmackssache, und in dem Film kommt er manchmal sehr drastisch daher. Das ist ja das klassische Prinzip der Komödie: Wenn den Menschen gerade besonders grauenvoll mitgespielt wird, bringt man eine lakonische Wendung rein, eine liebevolle Ironie, die dem Drama die Schärfe nimmt und von der Last und Schwere unserer Existenz befreit. Darum können wir Lubitsch und Sturges immer wieder sehen.

Nun haben Sie selbst Lubitsch genannt. Entfernt erinnert diese luftige Mènage a Trois an seine „Serenade zu Dritt“, oder auch an Truffauts „Jules et Jim“: Gab es solche Inspirationen aus der Filmgeschichte?

Nicht so konkret, aber natürlich trage ich die Filme, die ich gesehen habe in mir. Für mich ist es selbstverständlich, dass sie sich, hoffentlich auf natürliche Weise, in unserem kollektiven cineastischen Gedächtnis einnisten, und auf diesem Weg auch in meinem Kino präsent sind. Aber bewusste Zitate gibt es keine, abgesehen von dem einen Film, der sehr explizit vorkommt. Im Kontext des Mutterverlustes taucht eine Szene aus DAS WUNDER VON MAILAND auf, weil diese Übermutter, die dort in ihrer ganzen Mütterlichkeit so drastisch ausgestellt ist, das klischeehafte Gegenbild zu der modernen Mutter ist, die in unserer Generation vorherrscht, eine Mutter, die in der Mitte ihres Lebens dem Feminismus über den Weg gelaufen ist, sich damit vom Mütterlichen abgewandt hat und die Kinder eher als Partner ernst nimmt, was viele Vorteile aber auch einige Nachteile hat. Angela Winkler spielt das totale Gegenbild zu der Mutter in DAS WUNDER VON MAILAND, bekommt dann aber trotzdem diesen Auftritt als schwebender Engel, der wie bei Vittorio de Sica vom Himmel heruntergleitet.

In DREI gibt es ein ganzes kulturelles Bezugssystem, mit der Ballettszene am Anfang, dem Theaterbesuch, den Skulpturen, dem Kinobesuch. Wie ist es dazu gekommen?

In meinen Augen ist die Alltagspräsenz von Kultur und kulturellen Ereignissen im Kino völlig unterrepräsentiert, diese natürliche Art, auf die wir uns über die Auseinandersetzung mit Kultur miteinander verständigen. Das ist die Basis unseres Gesprächstoffes, ständig sprechen wir über kulturelle Phänomene oder Ereignisse, das ist auch zumindest in der westlichen Welt nichts Schichtspezifisches. Doch in Filmen findet das kaum statt, da geht man vielleicht mal ins Kino, aber darüber hinaus kommt Kultur als alltäglicher Austausch- und Begegnungsraum kaum vor.

Im Film vertritt Adam sozusagen die Wissenschaft und Simon die Kultur, sind das auch die beiden Seelen in Ihrer Brust?

Im Film ging es mir aber doch eher um eine dramaturgisch interessante Entwicklung. Es ist Teil der Konstruktion, dass sich die Frau von jemandem angezogen fühlt, der außerhalb ihres typischen Alltags liegt. Sie gestaltet ihr Leben, wie wir alle, in einem begrenzten Rahmen, in einer bestimmten Routine, und plötzlich trifft sie auf überraschende Weise auf einen Mann, der eine ganz andere Sozialisation, einen anderen Background hat, und damit eröffnet sich für sie ein neuer Zugang zu bisher ausgeklammerten Ideen, Gedanken und Positionierungen zur Welt.

Adam hat etwas sehr Entrücktes und wirkt manchmal fast wie ein Engel: Welche Regieanweisung haben Sie Devid Striesow dafür gegeben?

Wichtig war mir, diesen Film sehr intuitiv anzugehen, wir haben die Texte gelesen und zumindest bei der Probearbeit durchaus improvisiert, haben an den Texten entlang das eine oder andere noch weiterentwickelt. Bei Devid war es so, dass wir oft einen Satz weggelassen haben und ihn stattdessen nur auf so eine bestimmte, vieldeutige Weise schauen lassen. Er kombiniert eine offensichtliche Intelligenz mit einer seltsamen Triebhaftigkeit und kann sehr rätselhaft und mehrdeutig reagieren, oder auch einfach nur passiv sein, so dass man sowohl verunsichert als auch angezogen von ihm ist. Mit diesen sehr eigenwilligen Qualitäten ist er gar nicht so leicht zu fassen.

In welchen Maße sehen Sie ihn auch ein bisschen als Engelswesen, das diesem Paar hilft?

Das würde ihn zu stark von seiner vorhandenen Substanz als Person wegrücken. Am Anfang nimmt man ihn vielleicht so wahr, weil er wie so ein magisches Element in diese mit viel größerer Erdung ausgestattete Beziehung eingeschleust wird. Nach den üblichen Kriterien entscheidet sich der Film erst sehr spät, dieser Figur eine Substanz und eine biografische Verankerung zu geben. Nachdem er am Anfang eher geheimnisvoll und unnahbar, aber faszinierend wirkt, wird er dann doch noch ganz diesseitig. Am Anfang ist er vor allem für das Paar sicher eine Projektionsfläche, rückt aber mit der Zeit davon ab und wird doch zu einem kompletten Menschen. Insofern kommt er vielleicht als Engel zur Tür rein, aber er verlässt den Film als Mensch, als Person.

Insbesondere bei Sophie Rois hat man das Gefühl, dass die Dialoge gar nicht geschrieben sind, sondern einfach aus ihr heraussprudeln. Hatten Sie schon beim Schreiben diese Besetzung vor Augen?

Ja, das war ganz klar für sie geschrieben, ich wusste, dass ich bei diesen Texten nur mit ihr klarkommen würde. Sie bringt eine Impulsivität, Intelligenz und Vitalität mit und verleiht den Texten dadurch einen besonderen Schliff, aber auch so eine Lusthaftigkeit. Sie hat eine Lust mit Texten zu arbeiten, die ihrem Niveau entsprechen. Gleichzeit spielt sich diese Rolle ja nicht nur über den Text ab, sondern ist auch in der Stille sehr nuancenreich, da wird sehr viel über Blicke erzählt. In meinen Augen hat sie eines der schönsten, aber auch nuancenreichsten Gesichter, das wir hier in Deutschland haben. Sie ist eine attraktive Frau, wie ich sie für meinen Geschmack viel zu selten im Kino sehe, und sie schafft es, das Liebenswerte dieser Figur hervorzubringen, die ja von der Anlage auch eine sehr anstrengende Seite hat. Was Devid Striesow betrifft, der kam mir zumindest sehr früh in den Sinn, auch wenn ich da nicht so festgelegt war wie bei Sophie.

Angela Winkler vertritt als sterbende Mutter ja auch die vorhergehende Generation der Filmemacher: Ist das auch eine Hommage, oder vielleicht auch ein Abschied?

So habe ich das nicht gesehen, sie steht für mich eher für eine bestimmte Mutterfigur, für ein bestimmtes Bild der bildungsbürgerlich komplizierten Frau um die sechzig, die einem sehr vertraut, und auch durchaus unmütterlich erscheint, die sich unserer Generation schon sehr angenähert hat, allein schon in der Art, wie sie sich kleidet. Darüber hinaus ist sie eine der tollsten Schauspielerinnen ihrer Generation; mit ihr arbeiten zu können, war für mich sehr beglückend.

Und Sebastian Schipper, der ja in dieser Riege nicht das ist, was man einen Vollblutschauspieler nennt?

Obwohl er ja schon in drei meiner Filme mitgespielt hat, war das für mich eine so überraschende wie - im Nachhinein - einleuchtende Entdeckung. Es gibt keinen Regisseur, der ihn öfter eingesetzt hat als ich, gleichzeitig bin ich mit ihm natürlich noch viel mehr über seine Regiearbeiten verbunden, die ich alle begleitet habe. In erster Linie sind wir Regisseure, die befreundet sind. Als es dann an die Besetzung dieser Rolle ging, habe ich immer gesagt, „wir bräuchten so jemanden wie Sebastian Schipper“, mit dieser besonderen Form der Attraktivität, jemanden der zwar kein klassischer Beau ist, keiner der einen mit seinem Superstarlook erschlägt, aber doch eine Intensität hat, eine Lässigkeit und Intelligenz, aber auch Selbstironie. Danach haben wir gesucht und gesucht und gesucht, bis ich irgendwann dachte, warum frage ich eigentlich nicht Sebastian, schließlich ist er ja Schauspieler. Als wir uns im Café getroffen haben, wusste er sofort, was auf ihn zukommt und hat sich bereitwillig darauf eingelassen.

Gibt es da auch eine Art Seelenverwandtschaft zwischen Ihnen beiden?

Auf jeden Fall haben wir ein sehr vertrautes Verhältnis, was mir auch wichtig war für diese Rolle, die ja keineswegs leicht zu spielen ist. Er muss da schon Einiges können, das lässt sich nicht einfach so runterspielen. Das Vertrauen, das wir zueinander haben, hat da sehr geholfen, diese Sicherheit zu wissen, worauf es dem anderen im Kino ankommt und welche Nuancen man aus den Figuren herausholen möchte. Diese Nähe hat damit zu tun, dass wir schon so oft gemeinsam über Drehbüchern gesessen haben. Nachdem wir seit vielen Jahren in sehr engem Kontakt stehen, war es jetzt für uns beide ein ganz irres Experiment, das sozusagen mal am eigenen Leib auszuprobieren.

Womit wir bei den schwulen Sexszenen wären, die in DREI sehr selbstverständlich wirken: Wie können Sie Ihren Schauspielern zu dieser Unbefangenheit verhelfen?

Die sind auch nicht schwieriger als andere Sexszenen. Die Frage, wie hetero wir überhaupt alle sind, drängt sich in solchen Zusammenhängen gleich wieder auf - und ob es nicht anachronistisch ist, das überhaupt noch in diesen Kategorien zu sehen. Hinzu kommt, dass ja im Kino und im Fernsehen, von „Six Feet Under“ bis SHORTBUS unglaublich viele Filme Sexualität auf eine sehr entspannte und schöne Weise zeigen, bei den Schwulenszenen in „Six Feet Under“ geht es unglaublich zur Sache, und das in einer Fernsehserie! Dazu kommt, dass ich in einer Zeit aufgewachsen bin, in der Filme wie TAXI ZUM KLO populär waren. Schwule Szenen im Film sind für mich das Normalste der Welt, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass ich Schüler von Rosa von Praunheim war. Jedenfalls habe ich nie einen besonders starken Unterschied empfunden, ob man es mit hetero- oder homosexuellen Sexszenen zu tun hat. Diese Art von Intimität herzugeben ist immer ein bisschen eigentümlich, immer eine Herausforderung. Schön ist eine Sexszene für mich immer dann, wenn sie mich nicht peinlich berührt, wenn ich mich nicht als Spanner fühle, wenn ich das Gefühl habe, dass sich die Schauspieler trotz allem wohlgefühlt haben. Und wohlfühlen heißt ja nur, dass es ein entspannter Moment war, und dass die Körper auf eine Art und Weise gezeigt werden, die mir vertraut ist, nicht übertrieben schön, aber auch nicht hässlich. Erotik entsteht im Kino ja nicht dadurch, dass man alles frontal und krass zeigt, sondern indem man das Geheimnis des Körpers bewahrt, eines normalen, erwachsenen Körpers, der sehr schön aussieht, aber eben nicht nach sechs Monaten Fitnessstudio.

Denken Sie, dass der Film mit seinen liberalen Haltungen zu Homosexualität und zur Mènage á Trois den Stand der Beziehungsmöglichkeiten heute wiedergibt?

Zumindest stellt er etwas zur Disposition, das sich Gott sei Dank in unserem Alltagsdenken durchaus verbreitet hat. Im Grunde wissen wir alle, dass unsere Kategorien von sexuellen Zuordnungen, geschlechterspezifischen Haltungen und all diese Verbindlichkeiten, die wir uns pädagogisch aufzwingen lassen, zu einem System gehören, das irgendwie abgelaufen ist. Gleichzeitig haben wir aber auch noch keine tolle, neue Alternative zu bieten. Also vollführen wir diesen eigentümlichen Spagat: Einerseits sind da noch die bürgerlichen Modelle, mit denen wir groß geworden sind. Und gleichzeitig sind wir gedanklich schon sehr viel weiter, offener und auch entspannter, was diese kategorischen Zuordnungen betrifft, was man darf und was nicht. Der Film versucht, genau diesen Zwischenraum zu beschreiben, ohne dabei einen besonders starken Vorschlag zu machen. Es geht einfach darum, den Figuren dabei zuzuschauen wie sie in dieser Desorientierung irgendwohin taumeln, in einer sehr offenen, eben nicht klar zu Ende erzählten Geschichte. Der Film kommt zwar irgendwo an, doch das Ende ist ja eher ein Anfang.

Würden Sie dem Trio eine Chance einräumen?

Ja, da bezieht der Film am Ende ja schon eindeutig Stellung. Aber das heißt nicht, dass er dafür plädiert, dass wir jetzt alle Dreierbeziehungen unterhalten. Er richtet sich nur gegen den modellhaften, und quasi religiös verankerten Glauben an diese verbindliche Form der Beziehungsnormen. Das Verfallsdatum dieses Systems ist einfach überschritten. Mangels Alternativen machen wir zwar überwiegend weiter, aber das stimmt hinten und vorne nicht mehr.

Auf geradezu zauberhaft märchenhafte Weise behauptet der Film, dass die Affäre der Liebesgeschichte nichts nimmt, sondern ihr im Gegenteil sogar neue Funken gibt...

Ich halte es einfach für einen Schmarren, dass eine Liebe sämtliche Gefühle auf sich versammeln kann. Diese Exklusivität aller Gefühle in einer einzigen Beziehung ist in meinen Augen emotionaler Faschismus. Jeder weiß das, trotzdem halten wir an diesem Muster fest, aus vielen Gründen, die mit Verbindlichkeit zu tun haben, mit Notwendigkeiten, die sich im Alltag aus der Lebensgestaltung ergeben. In Wirklichkeit ist das Spektrum unserer Gefühle unendlich viel reicher, als das was eine Beziehung abdecken kann. Das ist es, was der Film ausdrückt.

DREI spielt in Berlin, aber jenseits der bekannten Wahrzeichen der Stadt: Wie sind Sie an die Locationsuche herangegangen?

Im Unterschied zu beispielsweise LOLA RENNT ist das ja kein Film, der die Stadt geografisch erforscht, sondern er nähert sich über so eine bestimmte, gesellschaftliche Gruppierung. In dem Moment, in dem wir uns entschieden hatten, von welcher Art von Leuten wir erzählen wollten, ergaben sich die Orte relativ organisch, wie von selbst. Es ging nie darum, spektakuläre oder visuell sensationelle Schauplätze zu finden, sondern darum, dass die Orte stimmige Aufenthaltsorte der Figuren sind - in welchen Kneipen sitzen sie, in was für einem Haus wohnen sie, in welches Theater gehen sie. Das haben wir mit Hilfe eines Locationscouts gesucht, auch der Szenenbildner trägt dazu bei, wir wissen ja alle, dass das nicht mein Film ist, sondern dass viele Leute dazu beitragen.

Darunter ist eine ganze Reihe von Leuten, mit denen Sie immer wieder zusammenarbeiten, Frank Griebe als Kameramann, Uli Hanisch als Szenenbildner, Mathilde Bonnefoy als Cutterin...

...das ist so wie mit tiefen Freundschaften, wenn sie halten, sind sie meistens auch ewig fruchtbar. Sind sie es einmal nicht mehr, dann sollte man sie beenden. Doch ich habe nicht das Gefühl, dass wir anfangen uns abzunutzen. Die letzten drei Filme, die wir zusammen gemacht haben, DAS PARFUM, THE INTERNATIONAL und jetzt DREI könnten kaum unterschiedlicher sein, und trotzdem denke ich, dass man uns eindeutig in jedem einzelnen von ihnen erkennt.

Sie komponieren Ihre Musiken immer mit Johnny Klimek und Reinhold Heil: Wie muss man sich diese Zusammenarbeit vorstellen?

Wir haben eigentlich immer eine wichtige Session vor dem Dreh, denn ich bin ein Gegner der sogenannten Temp-Musiken, die im Schneideraum temporär auf die im Schnitt befindlichen Filme angelegt werden. Das hat in den letzten fünfzehn Jahren dazu geführt, dass sich die Scores immer ähnlicher werden, weil in den Schneideräumen nur ein begrenztes Kontingent von CDs steht, das ist meistens AMERICAN BEAUTY und irgend etwas von James Horner. Wenn dann der Komponist einberufen wird, um für den fertig geschnittenen Film eine Musik zu liefern, dann wird er gebeten, einen möglichst ähnlichen Score zu liefern. Das ist dann so, als wäre die Musik ein Topping , das am Ende einfach drübergegossen wird, als wäre die Idee von Musik die der Zierde. Musik ist ein dramaturgisch wichtiger Baustein und ein emotionales Wirkungsmittel eines Films, da ist es doch geradezu grotesk, sie am Ende noch auf die Schnelle zuzufügen, statt sie mit dem Film zusammen zu entwickeln. Aus diesem Grund treffen wir uns früh, spielen viele Sachen schon ein, entwickeln Themen auf der Basis des Drehbuchs und schreiben davon ausgehend die ersten Stücke, die dann während des Drehs weiter gemixt und verfeinert werden. Dazu setzen wir uns in einen Raum, mit einem Computer, einem Klavier und ein paar Instrumenten und spielen los. Meistens habe ich schon beim Schreiben mindestens vier oder fünf Ideen zu bestimmten Themen. Bei DAS PARFUM und THE INTERNATIONAL war es sogar so, dass wir die Musik schon vor dem Dreh mit großem Orchester aufgenommen haben, so dass wir sie beim Drehen schon hören konnten.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Zahlenmystik, die im Film durchgespielt wird?

Die Zahlenmystik ist dem Kino verwandt, das einerseits unheimlich technisch ist, mit den Tausenden von Codes des digitalen Zeitalters, und gleichzeitig steckt in den Filmen aber auch etwas völlig Diffuses, Amorphes, Geheimnisvolles und Fließendes. In diesem Fall war sie aber vor allem etwas, das diese Mutter charakterisiert.

Wie stehen Sie persönlich zum Thema Stammzellenforschung, das der Film am Rande thematisiert? Schlagen Sie sich eher auf die Seite der vorwärts drängenden Forscher, oder der bremsenden Moralisten?

So einfach lässt sich das nicht umreißen. Das fasziniert mich, weil sich darin unsere Idee vom Menschsein spiegelt, was für uns der Begriff Leben bedeutet, was Leben ausmacht, und ab wann es schützenswert ist. Wir wollen unser Leben mit einem größtmöglichen Freiraum gestalten, haben aber Bedenken, wenn es darum geht, das physische Leben de facto zu konstruieren. Das erscheint uns unheimlich, und zwar nicht zu Unrecht. Mit unseren immer größeren Möglichkeiten, unser Leben zu beeinflussen, bewegen wir uns in einem Spannungsfeld, das sich vom Psychologischen bis zum faktisch Wissenschaftlichen spannt. Um diesen Zwischenraum geht es im Ethikrat, und den wollte ich auch im Film ausloten.

Womit wir ja fast schon bei den CGI-Effekten sind, mit denen Sie sich als Regisseur die Wirklichkeit nach Ihren Vorstellungen modellieren...

Das Kino ist von jeher eine Maschine, die der künstlichen Welt Leben einhaucht, mit Frankenstein als der Urgeschichte für uns Filmemacher. Im Grunde jagen wir Strom durch irgendwelche Monster und dann laufen sie durch unsere Filme und sind trotzdem nur erfunden und fiktiv, auferstanden aus unseren psychologischen Gräbern. Zu diesen Technologien habe ich ein sehr entspanntes Verhältnis, ich mache mir jede Technik zunutze, solange sie nicht selber zum Thema wird, das sich in den Vordergrund drängt. Das Kino ist seit seiner Geburtsstunde ein sehr technischer Apparat. Das ist eine Maschine, die versucht, das Leben einzufangen, daran ändert auch die digitale Technik nichts.

Wie sehen Sie das Verhältnis von Realität und Fiktion im Kino?

Das sind siamesische Zwillinge, zumindest in dem Kino, das mich interessiert: Ich möchte belogen werden und möchte aber trotzdem glauben, dass die Lüge mit der Wirklichkeit verwandt ist.

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