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Berlinale Palast
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© Berlinale

Berlinale 2017: Die Bilanz

Herz schlägt Politik

Die 67. Internationalen Filmfestspiele von Berlin sind gestern mit dem Publikumstag zu Ende gegangen. Und ausgerechnet die Vorführung des Siegerstreifens "Testről és lélekről" (Auf Körper und Seele) musste für 20 Minuten im Friedrichstadtpalast unterbrochen werden, weil ein Zuschauer angesichts der drastischen Bilder einer frisch geschlachteten Kuh in Ohnmacht fiel und weiteren Besuchern schlecht wurde. Berlinale-Bildstörung.

Das ist nur eine Randnotiz angesichts des Rauschen im Blätterwald, das zur immer gleichen Grundmelodie gerät: Es sei ein allenfalls mittelmäßiger Wettbewerb gewesen, die interessanten Filme liefen eh in den anderen Sektionen des Filmfestivals und Festivaldirektor Dieter Kosslick solle langsam seinen Hut nehmen.

Nun, da sieht sich die spielfilm.de-Redaktion herausgefordert, sich diesem Konsens entgegen zu stellen. Denn gemessen an den letzten beiden Jahren war dies ein sehenswerter Berlinale-Jahrgang, bei dem vor allem am Ende nicht die Politik entschied, künstlerisch mittelprächtige Werke wie "Taxi Teheran" und "Fuocoammare" mit dem Goldenen Bären auszuzeichnen, sondern mit dem berührenden, originellen ungarischen Drama "Testrol és lélekról" auch wirklich den besten Film. Selten war ein Sieg so wohl verdient.

Und es hätte andere preiswürdige Streifen gegeben, allen voran das finnische Drama "Toivon tuolla puolen" (Die andere Seite der Hoffnung), das vor allem, wenn man wieder die Politikkarte gezogen hätte - es geht um einen syrischen Flüchtling, der in Helsinki um Asyl bittet - die logische Wahl gewesen wäre. Kein Wunder, dass Regisseur Aki Kaurismäki sichtbar sauer war, dass er "nur" den Silbernen Bären für seine Regie erhielt. Wenn man hier überhaupt von "verlieren" sprechen kann, dann muss der Filmemacher das wohl noch lernen. Es war peinlich, dass er demonstrativ nicht zur Bühne kam, sondern Kosslick und Moderatorin Anke Engelke ihm seinen Bären zum Platz bringen mussten - und Kaurismäki den Bären dann sofort an seine Sitznachbarn loswerden wollte.

Auch das rumänische Drama "Ana, mon amour" oder das chilenische Drama "Una mujer fantastica" wären preiswürdige Werke gewesen. Auf der anderen Seite gab es diesmal keine wahren Geduldstester - den scheinbar unsäglichen "Joaquim" aus Brasilien verpasste unsere von Hustenattacken gebeutelte Kollegin Julia Nieder glücklicherweise - und selbst die schwächeren Beiträge hatten durchaus ihre Vorzüge. Das machte die Jury deutlich, als sie den österreichischen Darsteller Georg Friedrich für den ansonsten heruntergeputzten "Helle Nächte" auszeichnete.

Vor allem muss man den Verantwortlichen zugute halten, dass sie sich bemüht haben, ein breites Angebot zur Wahl zu stellen, neben Dramen auch Komödien, Krimis, Thriller, Animations- und Dokumentarfilme zu präsentieren.


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