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FBW-Bewertung: A Most Wanted Man (2012)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Die ehrbare Hansestadt Hamburg ist Tummelplatz nationaler und internationaler Geheimdienste, die nicht nur gefährliche Terroristen jagen, sondern sich auch gegenseitig belauern und ins Handwerk pfuschen. Dieser Ausgangspunkt der Geschichte erscheint absolut glaubhaft nach der Hysterie des Terror-Anschlags am 11. September, dessen Attentäter zum Teil aus Hamburg kamen, sowie nach den jüngsten NSA-Enthüllungen. Und wer sollte es besser wissen als der Altmeister John le Carré, der in seinem 2008 erschienenen Roman ?A Most Wanted Man? (dt.: ?Marionetten?) eine überzeugende Szenerie des allgemeinen Verdachts und des skrupellosen Spiels der verschiedenen Dienste entwirft, in dem alle handelnden Personen letztendlich fremdbestimmte Marionetten sind.

Der niederländische Regisseur Anton Corbijn hat diese Geschichte packend und souverän verfilmt und bleibt dem Stil der Vorlage treu. Die Genre-Erwartungen werden gut bedient, obwohl der Film weniger auf äußere Action denn auf Charakterzeichnung und Atmosphäre setzt. Locations und Ausstattung betonen den Kontrast zwischen der kühlen Eleganz der Machtzentralen und den nächtlich dunklen Straßen und Hinterhöfen, in denen ein Großteil der Handlung stattfindet. In diesen Szenen ist die Handkamera den Protagonisten dicht auf den Fersen und zieht den Zuschauer in das Geschehen hinein. Insgesamt zeichnet sich Benoit Delhommes Bildgestaltung aber durch gedämpfte, düstere Farben aus, wobei die gekonnte Ausleuchtung interessante Akzente setzt. Dieser Look lässt Hamburg herbstlich kalt und nass erscheinen und trägt wesentlich zur melancholisch-mysteriösen Stimmung des Thrillers bei. Die von Herbert Grönemeyer komponierte Filmmusik unterstreicht diese Atmosphäre, treibt aber gleichzeitig die Handlung voran.

Im hochkarätigen internationalen Schauspieler-Ensemble ragt Philip Seymour Hoffman heraus, der in seiner letzten Rolle ? mit starkem deutschen Akzent ? den Agenten Günther Bachmann spielt, den Leiter einer halboffiziellen deutschen Antiterror-Einheit. Kettenrauchend, Kaffee und Whisky in sich hineinkippend, gibt er den Spion der alten Schule, der in der Welt herumgekommen ist, Erfolge und Misserfolge zu verzeichnen hatte und sich darüber eine sehr eigene Sicht der Welt und seines Berufes zulegte. Den terror-verdächtigen Issa Karpow möchte er als Köder benutzen, um an die großen Fische, die Finanziers des internationalen Terrorismus, heranzukommen, denen er schon lange auf der Spurist. Dazu muss er den Bankier Tommy Brue, der das Vermögen von Issas Vater verwaltet, und die idealistische Menschenrechtsanwältin Annabel Richter, die für Issas Aufenthalt streitet, für seine Zwecke instrumentalisieren. Vor allem braucht er dafür aber Zeit, die ihm die anderen deutschen Dienste und die CIA-Agentin Martha Sullivan nicht geben wollen. Sie setzen auf den kurzfristigen Erfolg und nutzen ihrerseits Günther Bachmann als Köder, um Issa Karpow festzunehmen. Alle wollen aus politischen oder persönlichen Motiven die Welt ?besser? oder ?sicherer? gestalten, alle haben ihre Tricks und ihre Schwächen, und alle spielen mit verdeckten Karten.

Das findet seine Entsprechung im minimalistischen Spiel der Darsteller. Neben Philip Seymour Hoffman, Willem Dafoe, Rachel McAdams und Robin Wright überzeugt die erste Garde der deutschen Schauspieler in kleinen und kleinsten Rollen. Neben Nina Hoss als Günther Bachmanns Assistentin sind dies u. a. Daniel Brühl (der wortlos und mit Kopfhörern im Ohr Monitore beobachtet), Kostja Ullmann, Martin Wuttke, Rainer Bock und Herbert Grönemeyer. Sie verleihen den Figuren Kontur und halten die komplexe Geschichte mit ihren vielen Verästelungen und Ränkespielen bis zum Schluss spannend.

A MOST WANTED MAN ist ein kluger Agententhriller aus dem klassischen Repertoire John le Carrés, der die Geheimdienstarbeit entmystifiziert und die Methoden des ?Kriegs gegen den Terror? und moralische Grundsätze ausbalanciert, der aber vor allem von der ersten bis zur letzten Minute packend unterhält.



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