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FBW-Bewertung: Meeres Stille (2013)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Eine Frau entrümpelt in einem Innenhof alte Sachen für den Sperrmüll, bevor sie sich bereit macht für eine Woche Urlaub mit der Familie. Aber vielleicht ist der kaputte Stuhl, den sie auf dem Sperrmüll finden, es vielleicht doch wert, mitgenommen zu werden und ohne etwas zu sagen, bereitet ihr Mann den Transport des beschädigten Möbelstücks vor. Schon an der Eingangssequenz lässt sich erkennen, mit welch großer Sorgfalt und handwerklichem Können die Autorin und Regisseurin bei ihrem bemerkenswerten Debüt ans Werk gegangen ist. Und im Laufe des Films werden noch viele alte Stücke und Schicksaleent- und aufgedeckt werden. Aber ob sich alle richten lassen?

Der gesamte Film ist mit größter Sorgfalt aufgebaut und durchkomponiert, ein ausgefeiltes Musik- und Tonkonzept untermalt die Geschichte, formt die einzelnen Charaktere in feinen Momenten und führt den Zuschauer hinein in ein Gemenge aus Lügen, unterdrückten Wahrheiten und verdrängter Verantwortung. Die Kameraarbeit unterstützt dies, indem sie den Darstellern mal beinahe körperlich nahe kommt, mal Raum gibt und Räume gestaltet. Und auch die Hauptdarstellerin und die Tochter überzeugen durch intensives Spiel und nuancenreiche Darstellung der psychischen Gemengelage ihrer Figuren.

Die Dramaturgie des Films arbeitet extrem mit der Methode eines dominanten Vergangenheitsbezugs, die expositorische Informationsvergabe wird sukzessive in das dramatische Geschehen integriert. Ein Ereignis in der Vergangenheit determiniert das Verhalten, das Interagieren der Figuren in der Gegenwart. Es entsteht eine Was-Spannung, d.h. der Zuschauer will wissen, was passiert ist. Diese Spannung funktioniert, auch wenn der Film sich allzu viel Zeit dafür nimmt. Der Zuschauer wird also sehr lange in eine Was-Spannung versetzt, die durch geschickt ausgewählte Andeutungen, metaphorische Bilder und rätselhafte Dialoge aufrechterhalten wird. Dem psychologischen Rätselspiel zu folgen bereitet durchaus Vergnügen, auch wenn der Dialogstil in sich nicht kohärent genug ist. Die Dialoge changieren allzu sehr zwischen hoher Abstraktion und wirklichkeitsnaher Sprache, was zur Folge hat, dass es dem Zuschauer schwer fällt, sich zwischen emotionaler Anteilnahme und einem distanzierten Blick auf ein psychologisches Vexierspiel zu entscheiden. Die präsentierte Backstorywound besitzt zweifellos tragisches Potential. Ob sie dem Erwartungsdruck des Zuschauers standhalten kann, bleibt letztlich eine Frage des Empfindens jedes Einzelnen.

MEERES STILLE von Juliane Fezer ist gelungenes Kopfkino. Die Qualität dieses Spielfilmdebüts lässt von dieser Autorin und Regisseurin noch weitere spannende Werke erwarten.



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