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FBW-Bewertung: Diplomatie (2014)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Am 25. August 1944 sollte Paris auf der Grundlage von Führerbefehlen von der deutschen Wehrmacht in Schutt und Asche gesprengt werden, obwohl die Stadt keinerlei militärische Bedeutung besaß und den Vormarsch der Alliierten strategisch kaum beeinflusst hätte. Nahezu auf den Tag genau nach 70 Jahren wird dieser Film nun in die Kinos kommen:
In einem Kammerspiel, das auf dem Bühnenstück von Cyril Gély basiert, führt Schlöndorff den Zuschauer in das Pariser Hauptquartier des deutschen Generals, der Anfang August 1944 von der Ostfront nach Paris kommandiert wurde. Hier laufen alle Vorbereitungen zur Sprengung der Brücken zusammen, was katastrophale Folgen nach sich ziehen würde. Alle wesentlichen, auch die weltberühmten Gebäude, sollen zerstört werden. Menschenleben spielen keine Rolle. Der deutsche General ist bereit, so zeigt es der Film, den Befehl bedingungslos auszuführen, seiner militärischen Familientradition und Ehrauffassung zu folgen. Er weiß auch, dass er seine in Deutschland lebende Frau und die Kinder nicht mehr wiedersehen wird. Die Rolle wird großartig von dem französischen Schauspieler Niels Arestrup ausgefüllt. Er verkörpert in jeder Situation den preußischen Offizier, hart zu sich und anderen, zuweilen ganz plötzlich verwandelt, ein Mann mit Manieren.
Sein Gegenspieler in diesem ehemaligen Pariser Hotel, das eine Fülle an Geheimnissen in sich birgt, ist der schwedische Generalkonsul Raoul Nordling, gespielt von André Dussollier,. Für beide Rollen einen französischen Akteur zu gewinnen, war eine kluge Entscheidung. Nordling versucht mit allen diplomatischen und rhetorischen Mitteln, die Stadt vor der Zerstörung zu bewahren. Wie brisant diese Situation ist, verdeutlicht der Film vor allem mit intensiven Bildern und fast ohne Worte. Dokumentareinblendungen zeigen das zerstörte Warschau, aktuelle Bilder das wunderschöne Paris eingefangen in unterschiedlichem Licht. Während der Spielhandlung gibt es nur wenige Außenaufnahmen, alles (Licht, Ton, Perspektive) wird auf diesen meisterhaften Dialog über Stunden fokussiert. Der Wortwechsel wird extrem spannend, wie ein Duell mit fein geschliffener Klinge, auf Leben und Tod, gestaltet. Die Dramaturgie folgt dem klassischen Dramenaufbau. Man fiebert dem Umschwung wie dem Ende entgegen. Die Meisterschaft, mit der dieser Film glänzt, zeigt sich selbst in scheinbar kleinen Momenten. Als eine solche winzige Beobachtung sei hier auf die wechselnden Anreden hingewiesen, die auf Veränderungen der Positionen und Überlegungen, psychische Prozesse deuten: Herr Nordling, Herr Konsul Nordling, Herr Konsul, Herr Stadtkommandant, Herr General.
Der Film bietet ein Füllhorn zum Mit- und Nachdenken. Manche Geheimnisse, die denSpannungsbogen immer wieder straffen und voran treiben, werden im Film verbal oder nachträglich durch Bilder gelöst, einiges bleibt über das Ende hinaus geheimnisvoll oder offen. In der Jury wurde daher auch die Frage diskutiert, ob der Film durch die Erfindung dieses Gesprächs in dieser Form nicht falsche historische Vorstellungen bewirken könnte. Doch es gibt keinen historischen Spielfilm - selbst wenn die Vergangenheit erst wenige Jahre zurückliegt - der sich nicht künstlerischer Freiheiten bedient.




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