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FBW-Bewertung: Aus dem Nichts (2017)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: In einer Art Prolog erleben die Zuschauer in AUS DEM NICHTS, wie Nuri und Katja heiraten. Eine Knastehe, mit tätowierten Ringen. Die letzte und einzige heitere Szene in Fatih Akins Drama, denn gleich darauf wird das junge Glück jäh zu Ende gehen. Eine Nagelbombe explodiert vor Nuris Büro und reißt ihn und den gemeinsamen Sohn in den Tod. Einige Jahre sind nach dem Gefängnisaufenthalt vergangen und Katja und ihr Mann hatten sich gerade ein Leben aufgebaut.

?Familie?, ?Gerechtigkeit? und ?Das Meer?, so hat Fatih Akin die drei wesentlichen Teile seines Dramas AUS DEM NICHTS betitelt. Der Film ist eine Aufarbeitung der NSU-Prozesse und zugleich ein Familiendrama, das sich gewaschen hat. Denn während Katja Verlust und Schmerz mit Drogen zu unterdrücken versucht, geht die Polizei der Vermutung nach, Nuri könne Teil einer islamistischen Terrorzelle gewesen sein.

Sehr nuanciert arbeitet Akin das auf, was nach Ansicht der Jury nach einer solchen Katastrophe vermutlich geschieht. Schock, Wut, Hass, Trauer, Verzweiflung, Diane Kruger ist in der Rolle der Katja grandios.Überhaupt kann Fatih Akin auf ein meisterhaft geführtes, großartiges Ensemble zurückgreifen. Bis in die Nebenrollen spiegeln seine Schauspieler ein glaubwürdiges Bild von den Umständen nach so einer Tat.

In der abschließenden Diskussion zeigte sich die Jury berührt von der Wucht des Gesehenen. Genauso mutig wie spannend erzählt Akins Film. Eine Leistung, mit der der deutlich gereifte Regisseur locker an seinen Erfolg GEGEN DIE WAND anknüpfen und diesen sogar toppen kann. Dieses Gefühl erstreckt sich auch aufden nachfolgenden, mit ?Gerechtigkeit? betitelten Teil, der die Zuschauer in einen Gerichtssaal führt.

Akin gestaltet die sonst eher steril wirkenden Gerichtsszenen wie eine Fehde. Während die gefassten Täter nur kaltes Schweigen zeigen, brodelt es in Katja. Ihr Äquivalent findet sie ? dramaturgisch interessant ? im gegnerischen Verteidiger. Der, selbst einer rechtsnationalen Vereinigung entsprungen scheinende, Anwalt provoziert bis aufs Blut und schafft, in dubio pro reo, tatsächlich einen Freispruch seiner offensichtlich schuldigen Mandanten.

Auch wenn die Zuschauer die Fakten kennen und sich der tatsächliche Plot recht früh abzuzeichnen beginnt, ist AUS DEM NICHTS spannend bis zum Schluss. Fatih Akins Dramaturgie ist schlüssig und lässt nichts zu deuteln. Gelobt hat die Jury dabei die politische Zurückhaltung des Regisseurs. AUS DEM NICHTS denunziert nicht Polizei noch Richter, weder im Film noch in der Realität. Er textet die Nähe zu den NSU-Prozessen nur an, ist aber dennoch so suggestiv, dass er, bis hin zur finalen Auflösung im Kapitel ?Das Meer?, alles Weitere der Phantasie der Zuschauer überlassen kann.

Auch technisch wirkt der Filmüberzeugend auf die Jury. Licht, Kamera und Schnitt komponieren die ausgeklügelte Stimmung in allen drei Filmteilen hervorragend mit. Das Sounddesign ist immer stimmig, genau wie der Score. Die Jury wertet AUS DEM NICHTS daher als eine hervorragende Ensemble-Leistung, in allen Bereichen des Films.

AUS DEM NICHTS ist ein hervorragend erzähltes, mutiges Drama, das die Jury durch seine minutiöse Dramaturgie und seine großartige Besetzung überzeugt hat. Für diese Leistung erteilt die Jury einstimmig das Prädikat ?besonders wertvoll?.



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