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FBW-Bewertung: Wer war Hitler (2016)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: 196 Minuten Dokumentation sind zwar lang, aber nicht völlig ungewöhnlich. 196 Minuten Text-Film-Collage dagegen sehr. Mit WER WAR HITLER macht sich Hermann Pölking in 14 Kapiteln auf die Spurensuche nach der Person Hitler ? auf eine ungewöhnliche Art. Angefangen mit den frühesten zeitgenössischen Text- und Bildbelegen verfolgt er dessen Leben über mehr als fünf Jahrzehnte. Ungewöhnlich vor allem, weil Pölking für diese Biografie eine Montagetechnik gewählt hat, die kurze Filmsplitter mit eingesprochenen Texten unterlegt, bzw. umgekehrt, eingesprochene Zitate mit historischen Filmsequenzen bebildert, die meisten nicht viel länger alszehn bis 15 Sekunden. Die filmischen Splitter stammen ausnahmslos aus privaten Aufnahmen, für die textliche Ebene verwendet Pölking dagegen sowohl Aussagen aus privaten Tagebüchern als auch aus offiziellen Dokumenten.
Diese Dramaturgie, so zeigte sich in der Erörterung, stellt hohe rezeptive Anforderungen an die Zuschauer. Ausgiebig und durchaus kontrovers diskutierte die Jury über den Sinn dieses Vorgehens. Für einen Teil zeigte sich diese extreme Collagierung als Möglichkeit aus den Fragmenten ein Bild Hitlers zusammenzufügen, für die Anderen dagegen erwies sich WER WAR HITLER dadurch als ein Film, der sich gegen das wahrnehmungspsychologische Potential seiner Zuschauer richtet.
In der Tat wartet der Film mit einer extremen Fülle an zeitgenössischen Details und (privaten) Informationen auf. Da die kurzen, eingesprochenen Textpassagen sowohl aus offiziellen wie auch aus privaten Quellen stammen, schafft Pölking eine relative Nivellierung der Texte, in dem er die Stimmen hierarchisch gleichstellt. Dies gelingt nicht immer, zumeist aber dort, wo die Quelle erst nach dem Zitat genannt wird. Nach Ansicht der Jury hat Pölking jedoch kein durchgängiges, zeitliches Muster gefunden, nach dem er Text und Urheber im Film arrangiert. Darüber hinaus sieht die Jury kritisch, dass die Text-, anders als die Filmpassagen durchaus auch Jahrzehnte nach Hitlers Tod gemacht wurden, also nicht zeitgenössisch sind, so etwa im Falle Golo Manns.
Dramaturgisch interessant wird der Film immer dann, wo die Bild- nicht der Textebene folgt. So etwa, wenn Pölking die 12-tägige Hochzeitsreise des Ehepaars Höse zeigt, während er auf der textuellen Ebene die zeitgleich stattfindenden Ereignisse zitiert, die den Zweiten Weltkrieg auslösten. Dies zeigt, dass es vielen Deutschen möglich war, die welterschütternden Ereignisse bewusst zu verdrängen. Leider aber, so stellt die Jury mit Bedauern fest, untergräbt die gnadenlose Taktung des Films letztlich ein wenig die volle Entfaltung der Wirkung dieser gelungenen Bild-Text-Schere.
Die Jury würdigt die Recherche und Sichtung des umfangreichen Stock Footage. Allerdings bewegte sie auch eine wiederkehrende Frage um die Vielzahl der Informationen und deren filmisches Arrangement. Zum einen verweist die Jury darauf, dass die Vielzahl des Materials in seiner Fülle vielleicht untergehen könnte, zum anderen aber auch, dass die Fülle des Angebots, aus dem der Film schöpft, auch eine gewisse Beliebigkeit nahelegen muss. Immerhin bleiben die Auswahlkriterien Pölkings unbekannt und mögen daher intentiös sein. So mag WER WAR HITLER zwar als Kunstform gewinnen, als historischer Dokumentarfilm kann er nicht vollständig und in jedem Punkt überzeugen.
WER WAR HITLER spiegelt zwar die Enge des Zeitgenössischen wider, richtet sich in seiner materiellen Fülle aber gleichzeitig und in nicht unerheblichem Maße gegen die Wahrnehmungsmöglichkeiten seiner Zuschauer. Ob dies dramaturgisch durchweg funktioniert, zweifelt die Jury ein wenig an, zeichnet den Dokumentarfilm aber aufgrund seiner eindeutigen Qualitäten und der großen Leistung der Recherche und Aufbereitung des Materials mit dem Prädikat ?wertvoll? aus.



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