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FBW-Bewertung: Deportation Class (2016)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Die FBW-Jury hat dem Film das Prädikat besonders wertvoll verliehen.

Tief in der Nacht, die Stadt schläft noch und Dunkelheit bestimmt die Straßen, als ein Trupp Uniformierter in ein Treppenhaus vorrückt und wiederholt an einer Tür klingelt. Endlich zeigt sich eine verschlafen wirkende Person, Schreck und Unverständnis im Gesicht. Mit amtlicher Höflichkeit informiert einer, dass man da sei, umdie Familie abzuholen. Vermutlich ohne zu bemerken, welch enormer Hohn mitschwingt, fragt er, ob man denn eintreten dürfe. Etwas genervt stellt man drinnen fest, dass die Transportliste mit der vorgefundenen Anzahl an Familienmitgliedern nicht übereinstimmt ? die Tochter ist auf einem Schulausflug. Nach kurzer Beratung entschließt man sich, dass Mutter und Tochter dann eben nachkommen müssen, Vater und Söhne aber wolle man schon mal mitnehmen. Die darauf folgende Kommunikation über die bevorstehende Familientrennung gestaltet sich ohne eigenen Dolmetscher schwierig. Am Ende der Aktionkann aber dann doch recht entspannt Vollzug gemeldet werden.
Abschiebealltag in Deutschland? Bilder, die in dieser Form in deutschen Medien so gut wie nie zu sehen sind. Und das aus gutem Grund: Die zur Schau gestellte Routine bei dieser'Aufenthaltsbeendenden Maßnahme'durch sogenannte»Rückführungsmanager«, wie es in der versachlichenden Amtslyrik heißt, öffnet den Blick gnadenlos auf jedes einzelne, individuelle Schicksal hinter den Abschiebungen und zwingt den Zuschauer, sich auseinanderzusetzen mit den Konsequenzen. Der Innenminister Mecklenburg-Vorpommerns, Lorenz Caffier, ist an diesem Tag, den die Filmemacher begleiten durften, persönlich dabei und spricht wiederholt von der'Durchsetzung geltenden Rechts'. Aber können wir uns wirklich dahinter verstecken, wenn einer abgeschobenen Familie in der Heimat der Tod durch Blutrache droht?
Die Filmemacher Carsten Rau und Hauke Wendler konfrontieren uns mit unbequemen Fragen wie diesen und wandeln das Anonyme hinter dem abstrakten Begriff des'Abschiebens'um in sehr konkrete Geschichten einzelner Menschen. Es gehört zu ihrem vielleicht größten Verdienst, dass sie die aufgeworfenen Fragen nicht etwa durch besondere Gewichtungen suggestiv selbst beantworten, sondern dass sie alle Seiten sehr fair behandeln und in ihren Haltungen ausgewogen darstellen. Den zwangsweise reportagehaften Aufnahmen der Abschiebenacht werden bewusst stark ästhetisierte Porträts der Betroffenen entgegengesetzt ? ein Kontrast auf der Bildebene, der sehr effektiv zur Individualisierung beiträgt.
Einiger Redundanzen in der Montage zum Trotz hat die Jury der auf einer kürzeren und mit dem Grimme-Preis ausgezeichneten Fernsehdokumentation beruhende Film nachhaltig beeindruckt.




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