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FBW-Bewertung: Tides (2018)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Tim Fehlbaums TIDES lässt den Zuschauer in der ersten Szene zusammen mit seiner Heldin auf einer Erde landen, die einerseits noch gut als solche erkennbar und andererseits zur Unkenntlichkeit zerstört ist. Schon in der Eingangsszene gelingt ihm damit bravourös, eine glaubhafte Welt zu etablieren ? die große Schwierigkeit, vor die sich jeder Science-Fiction-Film gestellt sieht. Man begreift auch ohne viel Exposition, dass sich das Klima auf der Erde so entscheidend gewandelt hat, dass die verbleibenden Menschen zu "Muds", im Schlamm bzw. Wattenmeer lebende, sich gegenseitig barbarisch bekriegende Stämme, wurden. Die Heldin Louise Blake dagegen gehört zu den Nachfahren einer Gruppe, die offenbar rechtzeitig Zuflucht auf einem anderen Planeten finden konnte, wenn auch mit dem Manko, dass sie ihre Fruchtbarkeit eingebüßt hat. Blake, von Nora Arnezeder charismatisch als taffe Actionheldin verkörpert, ist die Vorhut einer geplanten Neukolonisierung der Erde, wobei die Wiedererlangung der Fruchtbarkeit im Zentrum steht.

Mit außerordentlich starken, hochatmosphärischen Bildern überzeugte der Film die Jury von Beginn an: Nebelschwaden, die immer nur partiell die Sicht frei geben auf letzte Hinterlassenschaften der Zivilisation wie Schiffsteile, rostige Container und rissige Planen. Eine Welt, aus Müll und Schrott zusammengeflickt und zusammengeschraubt, dazwischen wie drohende Riesen aufragende Volumen von alten Schiffen, die von der Ausbeutung des Planeten künden ? immer wieder gelingen dem Film außerordentlich gute Oppositionen. Am Anfang noch mit viel Mut zu einer fragmentarischen Erzählweise, die den Zuschauer auf angenehme Weise rätseln lässt über den Fortgang des Plots und sein zentrales Mysterium, wird der Film zum Ende hin wieder konventioneller, wenn er seine Figurenkonstellation entlang von im Genre schon öfter gesehenen Vater-Tochter-Konflikten entwickelt. Dem starken Eindruck, den TIDES als dystopischer Weltenentwurf hinterlässt, tat dies laut Meinung der Jury jedoch keinen Abbruch. Selbst wenn die Dialoge weniger aussagekräftig und zu Formeln reduziert erschienen, sind es immer noch die Bilder, denen man glauben und in cinephiler Weise vertrauen kann.

Das ausstrahlungsstarke Schauspiel und das herausragende Production Design werden ergänzt von einer dynamisch beweglichen Kameraführung, die der Verunsicherung der Heldin in einer ihr fremden Umgebung formal bestens gerecht wird. Tim Fehlbaum ist nach HELL ein weiteres rares Stück deutschen Genrekinos gelungen.



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