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FBW-Bewertung: Und der Zukunft zugewandt (2019)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: ?Auferstanden aus Ruinen?, das mag man der DDR zugestehen, aber war sie dabei auch ?der Zukunft zugewandt?? - Bernd Böhlichs Drama kann zur Beantwortung dieser Frage ein wenig beitragen.

Dass Kommunistin Antonia helfen wollte, den Kommunismus in der Sowjetunion aufzubauen, war den russischen Genossen vollkommen egal, als sie sie in den Gulag steckten. Wie vielen anderen KPD-Mitgliedern wirft ihr Stalin Spionage vor. Antonias Mann stirbt im Lager, beinahe auch ihre Tochter. Als sie schließlich zurück nach Deutschland kann, erhält sie eine veränderte Biografie und muss schwören, nichts vom Horror des Gulags zu erzählen. Die neue, sozialistische DDR fürchtet sich davor, sich mit dem großen Bruder anzulegen und dem kapitalistischen Westen eine Heldin für seine Propaganda zu liefern. ?Wahrheit ist, was uns nützt? ist die simple Begründung der SED. Antonia ist einverstanden, aber die Vergangenheit holt sie immer wieder ein.

UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT ist ein Drama, das von einer Problematik erzählt, die bislang nur wenig Beachtung gefunden hat. Wie viele Kommunisten bei den stalinistischen Säuberungsaktionen in Lager geraten sind, ist bis heute nicht bekannt und erst ab 1989 wagten die wenigen überlebenden Rückkehrer vom widerfahrenen Unrecht zu sprechen. Kein Wunder, dass die Zeit der Wende Bernd Böhlichs Drama rahmt, in der Antonia mit einem früheren Freund über die Jahre in der DDR spricht.

In der Diskussion zeigte sich, dass die Jury Böhlichs Drama anfangs beinahe für ein wenig zu konventionell erzählt hält. Andererseits aber handelt UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT von einer Thematik, die bislang so wenig mediale Beachtung gefunden hat, dass die lineare Erzählstruktur vermutlich sogar weise gewählt ist, um den Inhalt gut vermitteln zu können. Mit schönem, ruhigem Erzähltempo folgt das Drama dem Weg, den Antonia und ihre Tochter in der neugegründeten DDR wählen müssen.

Dabei hat Böhlich die Charaktere seines Dramas mit großer Stille umgeben. Und genau diese Stille lässt deren Verlorenheit geradezu spürbar werden. Zwar wird Antonia in ihrer neuen Umgebung freundlich empfangen, aber ihr Schweigen kann nicht verstanden werden und nährt immer wieder Misstrauen und Argwohn.Die DDR ist noch jung und deren Bewohner glauben noch an den Sieg des Sozialismus und die Verkommenheit des Westens. Böhlich konzentriert sich auf seine Protagonistin und kann die Stimmung, die sie umgibt, mit äußerster Glaubwürdigkeit einfangen. Nur in wenigen Momenten wird deren tiefe Einsamkeit durchbrochen. Dann nämlich, wenn sie mit dem jungen Arzt Konrad Zeidler zusammen ist, kann auch der Zuschauer aufatmen und zusammen mit Antonia Kälte und Isolation kurz vergessen.

Für UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT kann Böhlich auf einen hervorragenden Cast zurückgreifen, allen voran Alexandra Maria Lara, die die Protagonistin verkörpert. Die Schauspieler bilden Charaktere ab, die auch mit Zwischentönen keine Probleme haben. Ein unbedingtes Muss bei diesem noch so wenig bearbeiteten Thema. Allein die Gestalt des Konrad Zeidler schien der Jury, in der Besetzung mit Robert Stadlober, mitunter ein wenig zu glatt und sorgenfrei. Der nur zaghaft eingesetzte Score setzt nach Ansicht der Jury immer wieder pointierte Stimmungsakzente, ohne jemals aufdringlich zu wirken. Positivüberraschen konnten auch Ausstattung und Szenenbild, die nicht nur authentisch wirken, sondern auch die Sterilität des neuen Lebens Antonias hervorragend widerspiegeln. Alles in allem ist UND DER ZUKUNFT ZUGEWANDT die genauso intensive wie spannende Verfilmung eines wichtigen Themas der jüngerendeutschen Vergangenheit. Ein Film, dem es mühelos gelingt, auch Brücken in unsere Gegenwart zu schlagen.



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