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FBW-Bewertung: Der Pfad (2020)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: ?Gut oder böse? so heißt das Spiel, dass Rolf und sein Vater gerne spielen. ?Gut? und ?böse? unterteilt Menschen, die sie sehen, in gut und böse. Ein nicht ganz unwichtiges Kriterium, bedenkt man die Zeit und die Situation, in der sich die Beiden befinden.
Als 2017 Rüdiger Bertrams Roman DER PFAD erschien, galt er als ein gelungenes Kinder- bzw. Jugendbuch über Flucht und Freundschaft während des Zweiten Weltkriegs. Um den Nazis zu entrinnen, führt der Weg Rolfs und seines Vaters in die Pyrenäen. Von dort wollen sie über einen Schmugglerpfad nach Spanien gelangen, um später nach New York überzusetzen, wo Rolfs Mutter sehnsüchtig wartet. Der Plan ist eine Sache, die Realisierung aber eine andere.
Authentisch, stark, expressiv: In der Diskussion lobte die Jury die ausdrucksvollen Bilder, die der Film gefunden hat. Offensichtlich an Originalschauplätzen gedreht vermitteln die Aufnahmen zugleich Zeitkolorit und einen Eindruck von der Stimmung vor Ort. Ein durchweg gelungenes Color Grading trägt selbstverständlich mit dazu bei, diese Wirkung zu entfalten.
Ein Strandspaziergang, ein Razzia in einem Café: DER PFAD braucht nur wenige, nicht sehr explizite Sequenzen, um die Brutalität des Nazi-Regimes zu verdeutlichen. Daneben setzt Regisseur Tobias Wiemann auf Emotionen, auf familiäre Bindungen, auf die Sehnsucht nach der Mutter in Übersee. Die Rechnung geht auf, Rolf, sein Vater und Familienhund Adi werden schnell als intakter Mikrokosmos inmitten der grausamen, von den Nationalsozialisten vereinnahmten Welt erkannt. Aber Rolf lernt auch, dass es nicht nur böse, sondern eben auch gute Menschen gibt, Menschen außerhalb ihres Familienuniversums, denen er sich anvertrauen kann und muss.
Eine gute Idee, so die Jury, war sicherlich die Sprache der Buchvorlage zu übernehmen. Das von Rolf ziemlich ausgiebig genutzte Adverb ?kapital? etwa kann als Äquivalent zu heutigen Ausdrücken in der Jugendsprache verstanden werden und vermag so eine Nähe zwischen den jüngeren Zuschauern und der Person Rolfs zu schaffen. Doch es gibt auch andere Szenen, die in der filmischen Übersetzung ein wenig zu dramatisiert werden und so das junge Publikum nicht hundertprozentig abholen können, wie etwa das Verstecken des Hundes im Kochtopf.
Um bei den Unterschieden zur literarischen Vorlage zu bleiben: Sehr zeitgemäß und gut gelöst empfand die Jury die Rolle der Frauen des Films, wie der vorauseilenden und -schauenden Mutter, Ester der Partisanenführerin und ganz besonders dem Mädchen Núria. Denn im Gegensatz zum Buch ist es sie, die Rolf und seinen Vater durch die Pyrenäen führen wird. Ein stark gezeichneter Charakter, zumal so hervorragend von der Spanierin Nonna Cardoner gespielt, dass Julius Weckauf in der Rolle des Rolf neben ihr fast ein wenig in den Hintergrund rückt.
Gerne hätte die Jury erfahren, was aus Rolfs Vater geworden ist, nachdem er von den Nationalsozialisten gefasst wird. Das aber bleibt das große Geheimnis des Films. Der Vater bleibt verschwunden, ein ?loose end?. Die Jury hätte sich zumindest im Abspann, bzw. Schlusstitel einen Hinweis auf sein Schicksal gewünscht, um gerade jüngere Zuschauer von DER PFAD mit dieser Unsicherheit nicht alleine zu lassen.
Nach ausgiebiger Diskussion und in Anerkennung der herausragenden Qualitäten entscheidet sich die Jury, dem Film das höchste Prädikat zu verleihen.



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