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FBW-Bewertung: Je suis Karl (2021)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Die Auseinandersetzung mit der rechten Szene und den Gefahren populistischer Politik hat schon vor einigen Jahren auch das Kino erreicht. Regisseur Christian Schwochow und Drehbuchautor Thomas Wendrich aber leisten mit JE SUIS KARL jetzt einen wirklich außergewöhnlichen Beitrag zum Thema. In ihrem Film gelingt das Porträt der "neue Rechten" als einer Bewegung, die viel von den popkulturellen Formen der vormaligen Gegenkultur übernimmt und nach außen eben gerade nicht mehr so leicht von der bürgerlichen Mitte zu unterschieden ist.

Im Gegenteil, erzählt der Film eben davon, wie eine junge Frau aus explizit links-grünem Milieu in ihren Bedürfnissen gewissermaßen passgenau abgeholt wird: Als sie bei einem Bombenattentat ihre Mutter und ihre Geschwister verliert, befindet sich die von Luna Wedler gespielte Maxi in einer ausgesprochen verletzlichen Position. Sie sucht nach Erklärungen und fühlt sich von allen missverstanden, selbst vom eigenen, mittrauernden Vater (Milan Peschel). Dass jemand wie Karl (Jannis Niewöhner) in ihr Leben tritt, erscheint ihr wie ein Glücksfall, stellt sich der junge Mann doch zunächst ausgesprochen sensibel auf ihre Lage ein.

Der Film schildert höchst nachvollziehbar, was die intelligente, sensible Maxi an einer Bewegung wie "Re/Generation", wie die fiktive Neurechte sich im Film nennt, finden könnte. Statt dumpfen Glatzen mit Springerstiefel und Bomberjacken erlebt sie lauter freundliche, dabei hippe und sich ihr gegenüber offen zeigende Menschen. Dass die auch noch über große Social-Media-Kompetenz verfügen und international vernetzt scheinen, macht sie noch attraktiver. Und dass ihr in dieser Umgebung relativ einfache Erklärungsmuster für das, was ihr passiert ist, angeboten werden, macht es der jungen Frau eben auch leicht, die rassistischen und fremdenfeindlichen Untertöne zunächst zu überhören.

Mit dem Thema der Identitären und Neurechten greift der Film ein tatsächlich leider brandaktuelles Thema auf ? und scheut sich nicht endlich einmal die Verführungskraft der Rechten in den Blick zu nehmen, das Faszinosum zu thematisieren, das sie für die bürgerliche Jugend darstellt. Gerade weil viele Filme es sich einfach machen, und Rechtsextreme gern als besonders trottelige Idioten darstellen, lobte die Jury den Film als großartige Bestandsaufnahme unserer Gesellschaft.

Als besonders stark wurde die Nachbildung der verschiedenen Register der Popkultur ? von Folk bis Rock ? empfunden, die inzwischen eben auch die Rechten zu bedienen wissen. Zwar bewertete ein Teil der Jury den Plot als etwas zu schematisch ? Maxi als die verführte Unschuld, Karl als ihr teuflischer Verführer ? und bemängelte einen Mangel an Mysterium und Geheimnis, die dem Film mehr innere Spannung und Uneindeutigkeit, mehr Ambivalenz verliehen hätten. Doch das packende Spiel der drei Hauptdarsteller Wedler, Niewöhner und Peschel, die wirklichkeitsgetreue Verortung im dennoch leicht fiktiv gehaltenen Hier und Heute wiegt diese Art von Kritik auch wieder auf. JE SUIS KARL ist ein Film, der erschüttert und mitnimmt, weil er trotz eines hochdramatischen und höchst dystopischen Endes nie ganz unrealistisch wirkt.



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