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FBW-Bewertung: Träume sind wie wilde Tiger (2021)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Der auf einem Originaldrehbuch basierende Jugendfilm verarbeitet auf unterhaltsame Weise eine ganze Reihe von relevanten Themen, die unterschiedlich konsequent behandelt werden. In erster Linie zeigt sich der Film natürlich als klassischer Vertreter der Culture Clash-Komödie, indem er indische und deutsche Lebensweisen aufeinanderprallen lässt. Zur grundsätzlichen Herausforderung des Culture Clash gehört die Frage nach dem Umgang mit Klischees, die Figuren der verschiedenen Kulturen möglicherweise anheften könnten. Insbesondere im komödiantischen Zusammenhang können diese Klischees und Stereotypisierungen auf eine gewisse Weise zur Gestaltung der Komik beitragen ? wenn sie denn in einem differenzierten Kontext erscheinen. Die wirklich auffallend große Menge an Klischees in Bezug auf Inder*innen und Deutsche, die TRÄUME SIND WIE WILDE TIGER bedient, wird nach Empfinden der Jury hingegen zu wenig gebrochen oder kontextualisiert, vielmehr werden die altbekannten Stereotypisierungen oft einfach fortgeschrieben, bleiben also unkommentiert bestehen, was den Film diesbezüglich die Oberfläche nicht durchbrechen lässt. Die Umsetzung dieser Betonung von Unterschieden ins visuelle Konzept ist gelungen: den bunten und an SLUMDOG MILLIONÄR erinnernden dynamischen Bildern der indischen Seite steht eine Bildgestaltung auf der deutschen gegenüber, die auf kreativste Weise von einem Ordnungsprinzip aus Quadern und Rechtecken dominiert wird.
Ein weiteres Element der Erzählung stellt die Positionierung zweier Lebensprinzipien als gegensätzlich dar. Da ist das Träumerische, Fantasiereiche auf der einen Seite und das Mathematische, Logische auf der anderen Seite, denen sich die Figuren sowohl aus Indien als auch aus Deutschland weitestgehend zuordnen lassen. Das ist auf der erzählerischen, aber vor allem auf der Bildebene teils großartig umgesetzt, insbesondere die Kreativität Ranjis, mit der er sein Bewerbungsvideo dreht, und die Art, wie die Tänze ausgestattet oder die Ideen des Instrumentenbauers umgesetzt sind. Dessen Quietschtier-Orgel als Plüsch-Variante der Monty-Python?schen ?Musical Mice Organ? etwa bildet nur eine von zahlreichen gelungenen Momenten. Und wie es sich für ein Märchen gehört, sympathisieren wir selbstverständlich mit dieser träumerischen Seite des Lebens und dessen Figuren. Umso bedauerlicher und auch inkonsequenter, dass eben dieser Instrumentenbauer, die aufgrund ihrer angedeuteten Ambivalenz vielleicht stärkste Figur des Films, erst wieder in dem Moment von der Ehefrau als Mann wahrgenommen wird, wenn er sich, entgegen der Hauptfigur, von seinen Träumereien abwendet und mit einem ordentlichen Beruf Geld zu verdienen beginnt ? als Kartenkontrolleur. Zum Träumerischen innerhalb der Filmwelt zählen auch die Bollywood-Bezüge, die, frei nach dem Motto ?Bollywood ist überall?, vor allem durch Musik- und Tanzeinlagen Einzug in den Film finden. Bleibt der Musikstil dabei eher als Hybrid aus indischen und europäischen Einflüssen, so weiß die Umsetzung der Choreografien besonders dadurch zu gefallen, dass sie auf sehr einfallsreiche Weise das jeweilige Szenenumfeld mit einbezieht, etwa eine Seniorengruppe, die mit Ranji zu tanzen beginnt. Überhaupt lebt der Film von einer reichen Ausstattung, vielen visuellen Einfällen und insbesondere den überzeugenden Kinderschauspieler*innen. Und obwohl alle Figuren, Wendungen und Konfliktauflösungen wie beschrieben oft zu einfach, zu stereotyp und teils auch inkonsequent ausfallen, so vermag der Film durch seine Showelemente und die Situationskomik als ?Family Entertainment? dennoch gut zu unterhalten.



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