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FBW-Bewertung: Roxy (2022)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Im neuen Film von Autor und Regisseur Dito Tsintsadze gibt es einen klaren Star. Es ist nicht der titelgebende Kampfhund Roxy oder der osteuropäische Mobster Levan, dem die vierbeinige Muskelmasse gehört. Es ist der unscheinbare Taxifahrer Thomas, grandios doppelbödig gespielt von Devid Striesow, dessen Leben irgendwie in der Endlosschleife Bahnhof?Fahrziel?Bahnhof gefangen ist. Durch die Ankunft der drei freundlichen, aber offensichtlich gewaltbereiten Fahrgästen plus Hund gerät Thomas in eine unaufhaltsame Lawine von Ereignissen, die ihn droht zu überrollen. Und doch wird der unwahrscheinliche Held am Ende die Oberhand behalten.

ROXY nimmt sich Zeit für die Schrulligkeiten seiner Figuren. Auch die Gangster werden so tapsig und unbeholfen gezeichnet, wie man es selten sieht in einem Arthouse-Thriller über organisierte Kriminalität. Aber wer hier eigentlich gegen wen organisiert, bleibt unklar und spielt für Tsintsadze auch keine Rolle. Vielmehr geht es um den Beobachter Thomas, der langsam selbst zum Täter wird. Erst durch kleine Jobs und Vermittlungstätigkeiten wird er final zum Strippenzieher und befreit sich aus seiner inneren Lähmung. Obwohl es ein Weg auf die dunkle Seite der Macht ist, bleiben die moralischen Kategorien gewahrt. Fast wie eine märchenhafte Figur, ein naiver Hans im Glück, stolpert Thomas in einen wahren Abgrund und schafft es am Ende, nicht nur sich selbst, sondern auch die beiden einzigen unschuldigen Figuren, Levans Ehefrau und Sohn, zu retten. Und auf dem Weg dahin gibt es für das Publikum viel zu schmunzeln.

Die Kinobilder sind zur Geschichte passend herbstlich, vieles spielt nachts oder in schummerig beleuchteten Innenräumen, allesamt im Einrichtungs-Charme von Airbnbs und Strip-Clubs. Maske und Kostüm sind ebenfalls märchenhaft überhöht und unterstreichen das Skurrile, unbeholfene Streben nach Macht. Dies gipfelt zum Beispiel in der Off-Theatergruppe, in der Thorsten Merten als Camp-Ophelia in der Probenpause gefälschte Pässe vertickt. Dass all diese grotesken Figuren und Schnipsel zusammen halten, liegt auch an der schrägen Musikauswahl, die nach Lust und Laune zitiert und gegen den Strich bürstet.

Leider besteht der sonst angenehm gegen Stereotype arbeitende Film nicht den Bechdel-Test. Für seine Frauen-Figuren hat der Autor und Regisseur nicht viel Interesse, sie dienen vor allem ihrer Funktion und stehen damit im krassen Gegensatz zu den präzise geschilderten Männer-Figuren. Das Stilmittel des Voice-Over, in dem Thomas uns seine Geschichte erzählt, wogegen er ?on camera? so gut wie nie über Drei-Wort-Sätze hinaus kommt, trägt ab der zweiten Hälfte dazu bei, dass sich die Geschichte in die Länge zieht und der Schwung der Szenen dadurch ein wenig verloren geht. Am Ende ist in dieser Thriller-Komödie von beiden Genres nach Ansicht der Jury zu wenig enthalten: die zugegeben wirklich schwierige Balance von Humor und Spannung kann ROXY leider nicht bis zum Schluss aufrechterhalten.

Unter Abwägung aller Argumente verleiht die FBW-Jury diesem Film, der dem deutschen Arthouse-Kino eine wichtige Erzählfarbe hinzufügt, gerne das Prädikat WERTVOLL.



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