oder

FBW-Bewertung: Hölderlins Echo (2023)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Ein Film über einen Lyriker, dessen Werk großen Einfluss auf tausende Kompositionen zweier Jahrhunderte gehabt hat, die wiederum helfen, Zeiten und Umstände ihrer Entstehung zu begreifen. Über diesen etwas kompliziert klingenden Dreisatz lässt sich vielleicht beschreiben, was HÖLDERLINS ECHO leistet.

Friedrich Hölderlin zählt unzweifelhaft zu den bedeutendsten, deutschen Dichtern. Das Regisseur:innen-/Autor:innen-Team Susanne Marschall und Hannes Rall hat sich mit HÖLDERLINS ECHO aber nicht nur um den Dichter, sondern insbesondere um dessen Wirkung auf die musikalische Nachwelt verdient gemacht. Das Nachschöpferische zeigt erst die volle Dimension, die Mächtigkeit Hölderins Dichtung. Und es funktioniert auch andersherum: Marschalls und Ralls Experimentalfilm versucht sich genauso daran, Hölderlins Leben über seine nachschöpferische Wirkung zu erklären. So innig verknüpft sind, folgt man dem Film, bisweilen Lyrik und Vertonung Hölderlins.

Diesen gewaltigen Versuch einer Darstellung filmisch aufzubereiten ist ein gewaltiges Unterfangen. Marschall und Rall setzen auf eine hybride Arbeit. HÖLDERLINS ECHO nutzt Dokumentation und Animation, schöpft aus vielerlei Gesprächsstücken und unterschiedlichsten Tricktechniken, über allem aber liegt immer wieder die vielfältige, musikalische Übersetzung der Gedichte Hölderlins. Zugegeben HÖLDERLINS ECHO ist keine leichte Kost. Der Film will kein Einstieg zu Hölderlin sein, er will sein Publikum nicht abholen. Ganz offensichtlich wendet sich er sich an ein eingeschränktes Zielpublikum, das aber leistet er bravourös.

Ein wenig irritiert zeigte sich die Jury ob der recht unterschiedlichen Animationstechniken, mit denen sich der Film durch Hölderlins Leben tastet. Insbesondere die anfänglich verwendeten, nachträglich animierten, romantischen Neckar-Landschaften erzeugen einen unpassenden Hauch von Kitsch. Die später im Film eingesetzten, scherenschnittartigen, expressiven Darstellungen haben dagegen ausgezeichnet die Tiefe von Hölderlins Werken transportieren und bisweilen auch betonen können.

Über den filmischen Dreiklang Gedicht-Animation-Gespräch, bzw. Dokumentation kreisen Marschall und Rall das Sujet ein. Inhaltliche Schleifen verdeutlichen bereits Erwähntes, ohne redundant und langweilig zu wirken. Das erleichtert nicht nur das Verständnis der umfangreichen Materie, es setzt nach und nach auch immer neue Aspekte frei. So spiegelt sich die sprachliche Komplexität in Hölderlins Werken nicht nur in der späteren, musikalischen Bearbeitung wieder, sie wird dem Zuschauer auch in den Aussagen der Musiker und Dozenten verdeutlicht.

Trotz der erwähnten Schleifen und Wiederholungen durchzieht HÖLDELINS ECHO immer eine gewisse Spannung. Marschall und Rall verfolgen die Vertonung von Hölderlins Werken über Kontinente und Jahrhunderte, zeigen, wie seine fragmentarisch Lyrik Eingang ins Kunstlied gefunden haben. Ob Luigi Nono, Hans Eisler oder Viktor Ullmann, der mit seinen Liedern der Nachwelt einen Einblick in das Leben in Theresienstadt gewährt, HÖLDERLINS ECHO ist durch die Jahrhunderte zu vernehmen.

Aber HÖLDERLINS ECHO ist nach Ansicht der Jury auch eine Zwitter-Erscheinung. Offensichtlich konnten oder wollten sich Susanne Marschall und Hannes Rall nicht entscheiden, welche Art von Film sie machen wollten. In rezeptiver Hinsicht kann HÖLDERLINS ECHO entweder genießerisch konsumiert, oder wissenschaftlich interpretiert werden. Wobei das Eine, das Andere ausschließt. Und so zeigten sich auch in der Diskussion recht früh die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Jurymitglieder. Der Film neigt dazu, die Faszination der am Projekt beteiligten zu überhöhen und zu ikonisieren. Dennoch scheint der Jury HÖLDERLINS ECHO aber letztlich ein durchaus gelungenes audiovisuelles Projekt. Nach genauso ausgiebiger wie differenzierter Diskussion freut sich die Jury, HÖLDERLINS ECHO mit dem Prädikat BESONDERS WERTVOLL auszeichnen zu dürfen.



Spielfilm.de-Mitglied werden oder einloggen.