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Alle lieben Touda (2024)
Everybody Loves Touda
In seinem in Marokko spielenden Drama, einer Co-Produktion aus Marokko, Frankreich, Belgien, Dänemark und den Niederlanden, blickt der Regisseur Nabil Ayouch auf eine Sängerin zwischen Tradition und Moderne.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung :
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben insgesamt 3 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Touda (Nisrin Erradi) ist tough. Als alleinerziehende Mutter eines gehörlosen Sohns, des kleinen Yassine (Joud Chamihy), hat sie es tagsüber schon schwer genug. Wenn es Nacht wird, muss sie sich erst richtig bewähren. Denn Touda will mit allen Mitteln eine Sheikha, eine angesehene Sängerin traditioneller marokkanischer Lieder, werden. Dafür tritt sie Abend für Abend unter den lüsternen Blicken aufdringlicher Männer in den Bars der Region auf. Was das Trinken anbelangt, ist sie den Männern ebenbürtig, was viele von ihnen als Einladung missverstehen.
Toudas großer Traum ist der Durchbruch in der großen Stadt. Um die schäbigen Provinzkneipen endlich hinter sich zu lassen und Yassine eine bessere Zukunft bieten zu können, zieht sie nach Casablanca. Bis sie eine ordentliche Unterkunft und einen geeigneten Schulplatz gefunden hat, bringt sie ihren Sohn bei ihren Eltern auf dem Land unter. Doch das Leben in der durch Michael Curtiz' gleichnamigen Film weltberühmt gewordenen Millionenmetropole ist anders als erhofft und der Durchbruch lässt auf sich warten.
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Filmkritik
"Alle lieben Touda": Stimme des Widerstands
Gleich zum Auftakt ein Schock. Eine fröhliche Feier im Freien schlägt in einen Gewaltakt um. Gerade noch sang Touda (Nisrin Erradi) in kleiner Runde traditionelle marokkanische Lieder, trank Wein dazu und zauberte allen Umstehenden ein Lächeln auf die Lippen, jetzt hetzt sie mit gerafften Röcken durch den Wald. Ihre Verfolger, Männer unterschiedlichen Alters, sind ihr dicht auf den Fersen, bekommen sie zu fassen und prügeln ihr das Lächeln aus dem Gesicht. Der Gesang ist längst verstummt. Zu hören sind nur noch Toudas wehrhafte Schreie, als die Männer sie vergewaltigen.
Am nächsten Morgen tritt sie mit zerrissenem Kleid und zerschundenem Gesicht den Heimweg an, so als sei nichts gewesen. Als ein älterer Herr Touda am Straßenrand aufgabelt und in seinem Wagen mitnimmt, ist ihr die Lust auf Musik vergangen. Während der Fahrt möchte sie kein Radio hören. Ihre Liebe für die Aita, jene "Form der Vokalpoesie, die vor mehreren Jahrhunderten in den Ebenen Marokkos entstand", wie es der Filmemacher Nabil Ayouch in einem Interview erklärt, lässt sich Touda indessen nicht nehmen.
Für den Regisseur dieses Dramas ist seine Protagonistin als angehende Sheikha eine "Nachfolgerin der Heldinnen in der Rebellion gegen alle etablierten Mächte", eine Widerständige "gegen alle Formen der Herrschaft", die in Marokko in erster Linie von Männern ausgeht. Und der brutale Einstieg in seinen Film war seiner Meinung nach nötig, um die harte Realität vieler Sheikhats, wie Touda eine werden möchte, dem Publikum ungeschminkt vor Augen zu führen. Er zeigt aber noch etwas ganz anderes: die Resilienz, die dafür nötig ist.
Starke Frauenfigur, noch stärkere Hauptdarstellerin
"Alle lieben Touda" feierte im Zuge der 77. Internationalen Filmfestspiele von Cannes in der Reihe Cannes Premières im Mai 2024 Weltpremiere. Und seither hat sich die Lage für Frauen nicht verbessert. Ganz im Gegenteil versuchen konservative Kräfte weltweit, die Errungenschaften der Emanzipation zurückzudrehen. In Marokko, dem Heimatland von Nabil Ayouchs Vater, wurde vieles von dem, was manche Kleingeister hierzulande wieder abschaffen wollen, noch gar nicht erreicht. "Die marokkanische Gesellschaft ist gespalten", sagt Ayouch, der am Rande von Paris aufgewachsen ist. Auf der einen Seite stünden die Progressiven, die sich für eine Weiterentwicklung der Gesetze, eine Überarbeitung des Familienrechts und die Stellung der Frau einsetzen würden. Dem stünden konservative Kräfte entgegen, die jeden Fortschritt und jede Emanzipation der Frau ablehnen würden. Ohne bewusst für ihre Rechte einzutreten, wird Touda allein schon durch ihr Auftreten zu einem Sinnbild der Emanzipation und ihre Filmfigur unter Ayouchs Regie zu einer feministischen Ikone.
Damit steht sie in einer langen Reihe starker Frauenfiguren, die Ayouchs filmisches Werk als Regisseur und Drehbuchautor ("Whatever Lola Wants", "Much Loved") sowie als Produzent ("Nur wir drei gemeinsam", "Adam") durchziehen. Wie schon bei seinen letzten zwei Spielfilmen "Haut et fort" (2021) und "Razzia" (2017) hat Ayouch das Drehbuch zu "Alle lieben Touda" gemeinsam mit seiner Frau Maryam Touzani geschrieben, deren Filme er produziert und bei deren Film "Das Blau des Kaftans" (2022) er ebenfalls am Drehbuch beteiligt war. Im Laufe der Dreharbeiten, die über einen Zeitraum von anderthalb Jahren verteilt waren, um die sich wandelnden Jahreszeiten auf der Leinwand abbilden zu können, hat sich auch das Drehbuch verändert. Und das ist dem fertigen Film anzumerken.
Mehr als einmal verlieren sich Ayouch und Touzani beim Erzählen ihrer Geschichte gemeinsam mit ihrer Hauptfigur in den Wirren ihres Alltags. Dann lassen sie Geschlossenheit, Stringenz, Dramaturgie und den nötigen Fokus fahren, um sich mit Touda treiben zu lassen und episodisch, anekdotisch und elliptisch vor allem Stimmungen zu vermitteln. Dank der großartigen Nisrin Erradi, die mit ihrer auratischen Ausstrahlung die Kinoleinwand von ihrem ersten Auftritt an einnimmt, geht das auf. Der gesamte Film gehört ihr. Und zu welch Glanzleistung die 1989 geborene Schauspielerin in der Lage ist, stellt sie in der allerletzten, in einer einzigen Einstellung gedrehten, fast 18 Minuten langem Szene mit Bravour unter Beweis.
Fazit: In seinem neuen Film erzählt der Regisseur und Drehbuchautor Nabil Ayouch ("Much Loved", "Razzia") abermals von einer unbeugsamen Frau. Ohne es selbst zu beabsichtigen, wird die von Nisrin Erradi gespielte Titelheldin Touda zu einem Sinnbild für den Feminismus. "Alle lieben Touda", dessen Titel mit bittersüßer Ironie verstanden werden muss, ist ein Drama über die befreiende Kraft der Musik und über die Resilienz der Frauen in einer von Männern dominierten Welt.
Gleich zum Auftakt ein Schock. Eine fröhliche Feier im Freien schlägt in einen Gewaltakt um. Gerade noch sang Touda (Nisrin Erradi) in kleiner Runde traditionelle marokkanische Lieder, trank Wein dazu und zauberte allen Umstehenden ein Lächeln auf die Lippen, jetzt hetzt sie mit gerafften Röcken durch den Wald. Ihre Verfolger, Männer unterschiedlichen Alters, sind ihr dicht auf den Fersen, bekommen sie zu fassen und prügeln ihr das Lächeln aus dem Gesicht. Der Gesang ist längst verstummt. Zu hören sind nur noch Toudas wehrhafte Schreie, als die Männer sie vergewaltigen.
Am nächsten Morgen tritt sie mit zerrissenem Kleid und zerschundenem Gesicht den Heimweg an, so als sei nichts gewesen. Als ein älterer Herr Touda am Straßenrand aufgabelt und in seinem Wagen mitnimmt, ist ihr die Lust auf Musik vergangen. Während der Fahrt möchte sie kein Radio hören. Ihre Liebe für die Aita, jene "Form der Vokalpoesie, die vor mehreren Jahrhunderten in den Ebenen Marokkos entstand", wie es der Filmemacher Nabil Ayouch in einem Interview erklärt, lässt sich Touda indessen nicht nehmen.
Für den Regisseur dieses Dramas ist seine Protagonistin als angehende Sheikha eine "Nachfolgerin der Heldinnen in der Rebellion gegen alle etablierten Mächte", eine Widerständige "gegen alle Formen der Herrschaft", die in Marokko in erster Linie von Männern ausgeht. Und der brutale Einstieg in seinen Film war seiner Meinung nach nötig, um die harte Realität vieler Sheikhats, wie Touda eine werden möchte, dem Publikum ungeschminkt vor Augen zu führen. Er zeigt aber noch etwas ganz anderes: die Resilienz, die dafür nötig ist.
Starke Frauenfigur, noch stärkere Hauptdarstellerin
"Alle lieben Touda" feierte im Zuge der 77. Internationalen Filmfestspiele von Cannes in der Reihe Cannes Premières im Mai 2024 Weltpremiere. Und seither hat sich die Lage für Frauen nicht verbessert. Ganz im Gegenteil versuchen konservative Kräfte weltweit, die Errungenschaften der Emanzipation zurückzudrehen. In Marokko, dem Heimatland von Nabil Ayouchs Vater, wurde vieles von dem, was manche Kleingeister hierzulande wieder abschaffen wollen, noch gar nicht erreicht. "Die marokkanische Gesellschaft ist gespalten", sagt Ayouch, der am Rande von Paris aufgewachsen ist. Auf der einen Seite stünden die Progressiven, die sich für eine Weiterentwicklung der Gesetze, eine Überarbeitung des Familienrechts und die Stellung der Frau einsetzen würden. Dem stünden konservative Kräfte entgegen, die jeden Fortschritt und jede Emanzipation der Frau ablehnen würden. Ohne bewusst für ihre Rechte einzutreten, wird Touda allein schon durch ihr Auftreten zu einem Sinnbild der Emanzipation und ihre Filmfigur unter Ayouchs Regie zu einer feministischen Ikone.
Damit steht sie in einer langen Reihe starker Frauenfiguren, die Ayouchs filmisches Werk als Regisseur und Drehbuchautor ("Whatever Lola Wants", "Much Loved") sowie als Produzent ("Nur wir drei gemeinsam", "Adam") durchziehen. Wie schon bei seinen letzten zwei Spielfilmen "Haut et fort" (2021) und "Razzia" (2017) hat Ayouch das Drehbuch zu "Alle lieben Touda" gemeinsam mit seiner Frau Maryam Touzani geschrieben, deren Filme er produziert und bei deren Film "Das Blau des Kaftans" (2022) er ebenfalls am Drehbuch beteiligt war. Im Laufe der Dreharbeiten, die über einen Zeitraum von anderthalb Jahren verteilt waren, um die sich wandelnden Jahreszeiten auf der Leinwand abbilden zu können, hat sich auch das Drehbuch verändert. Und das ist dem fertigen Film anzumerken.
Mehr als einmal verlieren sich Ayouch und Touzani beim Erzählen ihrer Geschichte gemeinsam mit ihrer Hauptfigur in den Wirren ihres Alltags. Dann lassen sie Geschlossenheit, Stringenz, Dramaturgie und den nötigen Fokus fahren, um sich mit Touda treiben zu lassen und episodisch, anekdotisch und elliptisch vor allem Stimmungen zu vermitteln. Dank der großartigen Nisrin Erradi, die mit ihrer auratischen Ausstrahlung die Kinoleinwand von ihrem ersten Auftritt an einnimmt, geht das auf. Der gesamte Film gehört ihr. Und zu welch Glanzleistung die 1989 geborene Schauspielerin in der Lage ist, stellt sie in der allerletzten, in einer einzigen Einstellung gedrehten, fast 18 Minuten langem Szene mit Bravour unter Beweis.
Fazit: In seinem neuen Film erzählt der Regisseur und Drehbuchautor Nabil Ayouch ("Much Loved", "Razzia") abermals von einer unbeugsamen Frau. Ohne es selbst zu beabsichtigen, wird die von Nisrin Erradi gespielte Titelheldin Touda zu einem Sinnbild für den Feminismus. "Alle lieben Touda", dessen Titel mit bittersüßer Ironie verstanden werden muss, ist ein Drama über die befreiende Kraft der Musik und über die Resilienz der Frauen in einer von Männern dominierten Welt.
Falk Straub
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Besetzung & Crew von "Alle lieben Touda"
Land: Marokko, Frankreich, Dänemark, Schweden, Norwegen, BelgienWeitere Titel: Jeder liebt Touda
Jahr: 2024
Genre: Drama
Originaltitel: Everybody Loves Touda
Länge: 102 Minuten
Kinostart: 29.05.2025
Regie: Nabil Ayouch
Darsteller: Nisrin Erradi als Touda, Joud Chamihy als Yassine, Jalila Tlemsi als Rqiya, Lahcen Razzougui, El Moustafa Boutankite
Kamera: Virginie Surdej
Verleih: Immergutefilme
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