FBW-Bewertung: Fritz Litzmann, mein Vater und ich (2025)
Prädikat besonders wertvoll
Jurybegründung: Sind 144 Minuten für einen autobiografischen Dokumentarfilm nicht ein wenig lang? Nimmt sich Aljoscha Pause nicht zu wichtig, wenn er über zwei Stunden lang von sich und seinem Vater erzählt? Diese Bedenken werden schon in den ersten Minuten von FRITZ LITZMANN, MEIN VATER UND ICH zerstreut, denn wie der Titel schon andeutet, werden hier mindestens drei Geschichten erzählt, die so interessant und welthaltig sind, dass man die gesamte Zeit über neugierig und mit wachsender Faszination hinsieht. Zum einen erzählt Pause hier von seinem Vater Rainer Pause, der seit vielen Jahrzehnten einer der einflussreichsten Kabarettisten des Landes ist, jedoch als Workaholic alles andere als ein Familienmensch. ?Es war für mich nicht erstrebenswert, eine Familie zu haben? sagt er im Film zu seinem Sohn. Entsprechend chaotisch war die Erziehung von Aljoscha Pause, der eine stark rebellische und selbstzerstörerische Ader entwickelte, bis er durch eine Panikattacke ein deutliches Alarmsignal von seinem eigenen Körper bekam. Pause erzählt von seiner eigenen Geschichte, indem er vor allem andere wie den Vater, verschiedene ?Ersatzeltern? und Jugendfreunde davon berichten lässt. So vermeidet er jeden Anflug einer narzisstischen Nabelschau. Entscheidende Momente in den beiden Biografien, von denen es keine Bilder gibt, werden von Alireza Darvisch originell illustriert, und auch dadurch ?delegiert? Aljoscha Pause die eigene Geschichte an einen anderen, um so nicht zu viel in der Ich-Form erzählen zu müssen. Nicht umsonst steht im Filmtitel der Name Fritz Litzmann an erster Stelle, also jener Kunstfigur, die Rainer Pause entwickelte und mit der er zu einem der bekanntesten Kabarettisten der Bundesrepublik wurde. Denn der Film ist en passant auch ein Porträt der bundesdeutschen Kabarettszene. Er funktioniert so auch als eine Kulturgeschichte der Bonner Republik, die sich wunderbar am Beispiel der Karriere von Rainer Pause entwickeln lässt, der nicht nur auf der Bühne, sondern auch als Gründer und Leiter des Bonner Spielortes ?Pantheon? die Entwicklung des politischen Kabaretts förderte. Dass er diesen Club mit seinem dezidiert ?linksradikalen? Programm ausgerechnet im Kellergeschoss des Bonn-Centers am Bundeskanzlerplatz, also aus dem Zentrum der Macht, betreiben konnte, ist eine der vielen Pointen des Films. Dieser ist vollgespickt mit Aussagen von ZeitzeugInnen aus der Kabarett - und Kulturszene wie Helge Schneider, Carolin Kebekus, Bastian Pastewka und Claudia Roth, die Aljoscha Pause zum Teil persönlich kennen und ihn in seiner Jugend erlebt haben. Darum sprechen sie ihn manchmal auch in den Interviewsituationen direkt an, wodurch eine der Konventionen des Dokumentarfilms kreativ ignoriert wird. Dies könnte auch das Verdienst von Jan Richter und Claudia Spoden sein, deren flotte und originelle Montage einer der Gründe dafür ist, warum FRITZ LITZMANN, MEIN VATER UND ICH nicht nur inhaltlich, sondern auch filmästhetisch überzeugt, sodass die Jury hier gerne das Prädikat ?besonders wertvoll? vergibt.Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)