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FBW-Bewertung: Klandestin (2025)

Prädikat wertvoll

Jurybegründung: Richard, britischer homosexueller Künstler mit aktueller Adresse in Marokko, sucht eine Möglichkeit, nach Europa zurückzukehren, das lockere unstete Leben hinter sich zu lassen und mit neuen Bildern neu zu beginnen. Malik, junger Marokkaner ohne sichere Zukunft in seiner Heimat, sucht einen möglichst legalen Weg nach Europa, um die Familie finanziell besser unterstützen zu können und sich den Traum von einer Karriere als Rapper zu erfüllen. Mathilda, konservative Europa-Politikerin, kämpft mit harten Bandagen um ein Europa mit gut bewachten Außengrenzen. Amina, deren Familie es aus Marokko nach Europa geschafft hat, nützt auch ihre herausragende Ausbildung als Juristin nichts, um in Deutschland akzeptiert zu werden. Die Lebensgeschichten dieser vier Protagonisten verweben sich in Angelina Maccarones Film KLANDESTIN.
Malik ist illegal mit den Bildern im Transporter von Richard nach Frankfurt gekommen. Richard kann dort gerade eine Ausstellung eröffnen. Am Zustandekommen dieser Ausstellung ist Mathilda als langjährige sehr gute Freundin Richards maßgeblich beteiligt. Ihre Gespräche mit deutschen Politiker*innen sollen für das schärfere Vorgehen gegen Migration nach Europa werben. Eigentlich steht sie gerade zwischen einem früheren Leben in London und einem gesicherten Ruhestand in Wiesbaden. Sie stellt ihr Appartement als kurzzeitiges Versteck für Malik zur Verfügung und fordert seine schnelle Rückführung nach Marokko. Amina tritt bei Mathilda ihre neue Stelle als Assistentin an, als Frankfurt am Main von einem Attentat auf eine große Bank erschüttert wird.

?Klandestin? ist ein aus dem Lateinischen kommendes Wort für ?Versteck? oder ?Geheimnis?, oder auch für ?im Geheimen?. Im Politischen spricht man von ?klandestinen Operationen?.Klandestine sind aber auch Menschen, die im Verborgenen ausreisen und einreisen, was aktuell auf viele migrantische Bewegungen in Europa zutrifft. Ein Versteck und viele Geheimnisse sind die zentralen Elemente der Verbindung zwischen Malik, Mathilda, Richard und Amina. Die von Angelina Maccarone gewählte Erzählstruktur ist der interessante Coup des Films. Aus der Perspektive der vier Hauptfiguren wird die Geschichte immer wieder vom Beginn her erzählt. Am Ende tragen die vier Varianten der Ereignisse, mosaikartig, zur Charakterisierung der jeweiligen Person, zur vierfachen Sicht auf die Dinge mit immer neuen Momenten und zur Enthüllung von Geheimnissen bei. Alle haben etwas zu verbergen, verstecken etwas oder Jemanden und bewegen damit den tragischen Strudel der Ereignisse. Tanger, London, Frankfurt bilden als erzählte Orte Drehkreuze von Migration und stehen symptomatisch und beispielhaft für gesamteuropäische Verfehlungen.

Die Stärke des Films, so die Jury, liegt im Aufeinandertreffen dieser unterschiedlichen Lebenswelten. Überzeugend thematisiert der Film die Diffusität der Gefühle der Protagonisten. Jede der erzählten Figuren wirkt auf eine Art verloren. Obwohl sie Wege im Leben beschreiten, sind sie nicht in ihrem Leben. Die Geschichte des Ankommens, die vor allem Malik betrifft, steht für alle vier Figuren. Wir sehen Erschütterung von Haltungen und bisherigen Sicherheiten. Verwirrung und Unsicherheit bestimmt alle vier Lebenssituation deutlich. Äußere Ereignisse verstärken die Situation des Gefangenseins für Malik im Appartement, wo er sich als Illegaler verstecken muss.

Besonders interessant ist in der erzählten Konstellation die Figur der Amira, die ihre herausragende Ausbildung als Juristin für Internationales- und Menschenrecht verleugnen muss, ihre Lebenssituation als Alleinerziehende verbirgt, um einigermaßen angemessen arbeiten zu können. Am stärksten versucht sie ihre eigenen migrantischen Erfahrungen zu verbergen, um daran nicht am Ende zu zerbrechen. Gerade ihre Figur hat in ihren Handlungen und Haltungen die Jury sehr überzeugt,

Die Jury diskutiert, dass der Film sich schwer tut, seine Geschichte zu entfalten. An einigen Stellen fehlt ihr der Stoff, um sie von verschiedenen Seiten immer wieder zu beleuchten und ihr neue Facetten hinzuzufügen. Die Änderung der Blickwechsel, bringt nicht in jedem Fall eine neue Sicht auf die Dinge, so die Jury. Dennoch gewinnt der Film im Laufe des Vorangehens der Ereignisse an Dynamik. Im Erzählton bleibt der Film emotional immer auf der gleichen Ebene. Ein interessanter Kontrast, befindet die Jury. Erzählt wird eine große Verwirrung, eine Verunsicherung beim Thema Einwanderung. Die Figuren verbergen ihre Ressentiments gegenüber dem jeweils anderen. Anhand eines Beispiels von illegaler Migration verdeutlicht sich auch die unklare Lage in Deutschland, gerade hier zeigt der Film die gesellschaftliche Verunsicherung in Bezug auf Migration.

Für einen Polit-Thriller, so die Jury, fehlt es dem Film ein wenig an innerer Spannung, an politischer Intrige und klandestinen Operationen. Für ein Drama wiederrum erscheint der Jury der dramatische Bogen zu flach gesetzt. Das Attentat verschwindet als Ereignis während der vier erzählten Geschichten immer mehr, um dann plötzlich zum Deus ex machina zu werden. Das hat die Jury nicht ganz überzeugt. Innere Entwicklungen werden so im Verborgenen erzählt, dass der Film viel voraussetzt, um sie zu entschlüsseln. Die Kamera bleibt zu oft in der Halbtotalen. Der Schnitt führt die Geschichten eher erwartbar voran.

In der Diskussion der Jury wird das konsequent stark erzählte Ende hervorgehoben, weil es alle Möglichkeiten der Klärung für die Figuren enthält, es Auswege aus dem eigenen inneren oder äußeren Versteck bietet. Es macht Hoffnung, dass alle ihre Lebenssituation offen bewältigen können. Der Schluss des Films setzt überzeugend erzählt, ein Zeichen der Solidarität, als Amina sich für die Wahrheit und die Verteidigung Maliks entscheidet.
Alle Darsteller*innen spielen auf der Höhe der Geschichte und geben den Figuren Charakter, dazu tragen Barbara Sukowa und Lambert Wilson internationales Flair in den Film.

Nach einer interessanten und ausführlichen Diskussion vergibt die Jury sehr gern das Prädikat ?wertvoll?.



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