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FBW-Bewertung: Hysteria! (2025)

Prädikat besonders wertvoll

Jurybegründung: Mehmet Akif Büyükatalay spielt in HYSTERIA mit einem der gefährlichsten Tabus unserer Zeit. Sein Film gehört zu der Gattung ?Film im Film? - in ihm wird also von den Dreharbeiten und Produktionsumständen eines fiktiven Filmprojekts erzählt. Auf dem Set eines Films, der von den Brandanschlägen von Solingen handelt, wird bei Aufnahmen ein verbrannter Koran gefunden. Komparsen, die in der Szene mitgespielt haben und in einer Geflüchtetenunterkunft leben, beginnen eine heftige Diskussion über diese vermeintliche Blasphemie, und die wird dadurch noch angeheizt, dass der Regisseur Yigit sich vorbehält, diese Aufnahmen in seinem Film zu verwenden. Bei den Auseinandersetzungen beziehen die Laiendarsteller und Mitglieder des Filmteams verschiedene Positionen zu diesem Thema. Yigit beruft sich auf seine künstlerische Freiheit, die Geflüchteten aus Ländern im Nahen Osten fühlen sich zum Teil als Muslime beleidigt, zum Teil halten sie die Haltung von Yigit für politisch unverantwortlich. Bei diesem Streit tritt das Machtgefälle zwischen den Filmemachern und den Geflüchteten offen zutage, und am wenigsten Macht hat die junge Regieassistentin, die zwischen die Fronten gerät, als die Filmkassetten mit den Aufnahmen verschwinden und die Stimmung durch Verdächtigungen und Schuldzuschreibungen immer hysterischer wird. Mehmet Akif Büyükatalay nutzt hier geschickt Genrekonventionen, um in einer filmischen Versuchsanordnung aktuelle Problematiken wie Rassismus, Postkolonialismus, muslimischen Antisemitismus und gesellschaftliche Machtstrukturen durchzuspielen. Sein Film beginnt wie eine quasi-dokumentarische Darstellung der fiktiven Dreharbeiten, er wird aber immer mehr zu einem Kammerspiel, bei dem die Protagonist*innen ihre Auseinandersetzungen in den Räumen einer Wohnung führen und die Atmosphäre zunehmend klaustrophobischer und bedrohlicher wird. Bald sind alle Protagonist*innen kompromittiert, denn alle scheinen eine eigene Agenda zu haben und diese auch mit unsauberen Mitteln durchsetzen zu wollen. In seinen besten Momenten erinnert HYSTERIA an die paranoiden Thriller der 1970er Jahre und Mehmet Akif Büyükatalay gelingt hier das Kunststück, einen spannenden Film zu inszenieren und zugleich die verschiedenen Diskurse auf einem intellektuell angemessenen Niveau zu präsentieren. Zudem überzeugt sein Film durch eine geschickte Dramaturgie, die sich etwa dadurch offenbart, dass die Handlung mit einem Feuer beginnt und mit einem Feuer endet. Die Schlusspointe ist dann aber der Disclaimer ?Während der Dreharbeiten zu ?Hysteria? wurde kein Koran verbrannt?, durch den deutlich wird, dass auch HYSTERIA selbst, wie sein ?Film im Film?, ein Politikum ist.



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