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Yunan (2025)
Drama über drei isolierte Menschen, die sich in einer Notlage näherkommen.Kritiker-Film-Bewertung:User-Film-Bewertung:
Filmsterne von 1 bis 5 dürfen vergeben werden, wobei 1 die schlechteste und 5 die beste mögliche Bewertung ist. Es haben bislang 0 Besucher eine Bewertung abgegeben.
Der Schriftsteller Munir (Georges Khabbaz) lebt im Exil in Hamburg, ist mit der Hansestadt aber nie richtig warmgeworden. Seine Schwester und seine an Demenz erkrankte Mutter hat er in Syrien zurückgelassen. Von einer Schreibblockade und Atemnot geplagt, verordnet er sich eine Auszeit. Doch auf der Hallig Langeneß, auf die er fährt, sind die Menschen so schroff wie das Wetter.
Munir kommt im Gästehaus der Witwe Valeska (Hanna Schygulla) unter, die dort mit ihrem Sohn Karl (Tom Wlaschiha) lebt. Karl scheint mit Abstand der jüngste Mann auf der kleinen Marschinsel zu sein, was zu einiger Frustration führt. Als eine Flut naht und die Hallig Land unter meldet, rücken Munir, Valeska und Karl zwangsläufig enger zusammen und die drei unterkühlten Zeitgenossen tauen langsam auf.
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Filmkritik
"Yunan": Auszeit vom Atmen
Munir schnappt nach Luft, atmet schwer und hält sich dabei den Handrücken vor den Mund, beinahe so, als wolle er hineinbeißen, um sich von seinem Leiden abzulenken. Seit Wochen plagt ihn Atemnot. Doch mit seinen Lungen ist alles in Ordnung, sagt der Arzt aus dem filmischen Off. Im Gespräch mit seinem Patienten nimmt der Mediziner die Position des Publikums ein. Munir sitzt ihm frontal gegenüber. Wenn er den Arzt anblickt, schaut er auch in den Kinosaal – und seine Augen verraten, dass er nicht viel von dessen Rat hält, sich eine Auszeit zu nehmen.
Der syrische Exilant, der in Hamburg eine Bleibe, aber keine neue Heimat gefunden hat, packt trotzdem seine Koffer. Nicht um zu entspannen, sondern um seiner Existenz ein Ende zu setzen. Als er auf der Hallig Langeneß anlangt und nach einem unfreundlichen Empfang im Gästehaus der alten Valeska unterkommt, wartet der eingepackte Revolver auf seine Bestimmung. Doch der Regisseur und Drehbuchautor Ameer Fakher Eldin hält sich nicht an das von Anton Tschechow (1860–1904) postulierte Erzählprinzip, dass jedes prominent eingeführte Element einer Geschichte auch einen Zweck erfüllen müsse. Die früh in der Filmhandlung gezeigte Waffe wird nie abgefeuert. Wie Fakher Eldin überhaupt sehr ungewöhnlich erzählt.
Poetisch verschlungene Wege
"Yunan" ist der zweite abendfüllende Spielfilm Fakher Eldins und der Mittelteil seiner geplanten "Homeland"-Trilogie über das Heimatland seiner Eltern. Fakher Eldin wurde 1991 in Kiew geboren. Inzwischen lebt er in Deutschland. Seine Eltern stammen aus Syrien und sind von den besetzten Golanhöhen geflohen, wo das Debüt ihres Sohnes, das Drama "Al Garib" ("The Stranger", 2021), angesiedelt ist. "Al Garib" erhielt bei den Filmfestspielen von Venedig den Edipo Re Award, "Yunan" lief im Wettbewerb der Berlinale. Die Themen Flucht und Exil, die in seiner eigenen Familiengeschichte verwurzelt sind, erzählt er in "Yunan" auf verschlungene, ausgesprochen poetische Weise.
Der von Georges Khabbaz gespielte Protagonist ist ein Schriftsteller mit Schreibblockade. Wieder und wieder schwirren ihm die ersten Zeilen einer alten Geschichte über einen Schäfer und seine Frau durch den Kopf, die ihm seine Mutter einst erzählte und die der Beginn eines neuen Romans werden könnte. Wenn Munir daran denkt, dann taucht auch der Film in die Welt des Schäfers ab: Der Handlungsort wechselt von der nasskalten Nordsee in eine karge Berglandschaft im Nahen Osten, das satte Grün der Wiesen schlägt in sanfte Braun- und Gelbtöne um und Ali Suliman und Sibel Kekilli betreten als stummer Schäfer und seine Frau die Szenerie, bevor sie ebenso unvermittelt wieder aus dem Film verschwinden.
Symbolisch und märchenhaft
Ob es sich bei diesen Sequenzen um Vorstellungen oder um Träume, um die Visualisierung der von Munirs Mutter erzählten Geschichte, um den von Munir geschriebenen Romananfang oder gar um eigene Erinnerungen des Protagonisten handelt, bleibt offen – und spielt letztlich keine Rolle. Die Verschränkung der verschiedenen Erzählebenen verleiht dem durch die wunderschön komponierten Bilder des Kameramanns Ronald Plante ohnehin schon symbolisch aufgeladenen Film eine zusätzliche, märchenhafte Komponente. Und das ist ein Segen, auch für die deutsche Filmlandschaft.
Offiziell mag "Yunan", der von gleich sieben Ländern produziert und von einem syrischstämmigen Regisseur geschrieben und gedreht wurde, kein deutscher Film sein. Zwischen dem Nahen Osten, Hamburg und einer Hallig vor der Nordseeküste angesiedelt und mit deutschen Stars besetzt, bereichert er aber ganz klar die hiesige Kinobranche. Von Ameer Fakher Eldins poetischer Bildsprache, die sich nicht davor scheut, ihre Symbolik mit kräftigen Pinselstrichen auf die Leinwand aufzutragen, könnten sich viele deutsche Filme eine Scheibe abschneiden.
Geteilte Einsamkeit
Im Kern kreist das Drama um Isolation und Einsamkeit, die zu tendenziell selbstzerstörerischem Verhalten führen. Das ganze Können des gerade einmal 34-jährigen Filmemachers zeigt sich unter anderem darin, dass Ameer Fakher Eldin die anfangs ausweglos erscheinende Situation seines Protagonisten nicht isoliert betrachtet, sondern in den Lebensumständen der von Hanna Schygulla gespielten Witwe Valeska und ihrem von Tom Wlaschiha verkörperten Sohn Karl spiegelt. Und welch besseres Bild hätte er dafür finden können als eine von der Flut überschwemmte Hallig?
Auch Karl ist einer, der im sprichwörtlichen Sinn mit sich selbst und buchstäblich mit seinen Mitmenschen ringt. Die Begegnung mit Munir ist für beide eine Befreiung. Valeska wiederum hat sich in ihrer Einsamkeit eingerichtet, wodurch sie Munir zur klugen Ratgeberin werden kann. Statt panisch nach Luft zu schnappen, solle er es doch einfach mal mit dem Gegenteil probieren. Die Menschen würden ohnehin zu viel atmen, meint Valeska. Und behält damit am Ende recht.
Fazit: Ameer Fakher Eldins zweiter abendfüllender Spielfilm "Yunan" ist eine verschlungen erzählte und symbolisch aufgeladene Erkundung der Einsamkeit eines Exilanten. Ein poetisches Drama über Isolation und die Möglichkeit, innere Verwundungen nicht nur mit den Mitteln der Literatur, sondern auch durch die Nähe zu verwandten Seelen zu heilen.
Munir schnappt nach Luft, atmet schwer und hält sich dabei den Handrücken vor den Mund, beinahe so, als wolle er hineinbeißen, um sich von seinem Leiden abzulenken. Seit Wochen plagt ihn Atemnot. Doch mit seinen Lungen ist alles in Ordnung, sagt der Arzt aus dem filmischen Off. Im Gespräch mit seinem Patienten nimmt der Mediziner die Position des Publikums ein. Munir sitzt ihm frontal gegenüber. Wenn er den Arzt anblickt, schaut er auch in den Kinosaal – und seine Augen verraten, dass er nicht viel von dessen Rat hält, sich eine Auszeit zu nehmen.
Der syrische Exilant, der in Hamburg eine Bleibe, aber keine neue Heimat gefunden hat, packt trotzdem seine Koffer. Nicht um zu entspannen, sondern um seiner Existenz ein Ende zu setzen. Als er auf der Hallig Langeneß anlangt und nach einem unfreundlichen Empfang im Gästehaus der alten Valeska unterkommt, wartet der eingepackte Revolver auf seine Bestimmung. Doch der Regisseur und Drehbuchautor Ameer Fakher Eldin hält sich nicht an das von Anton Tschechow (1860–1904) postulierte Erzählprinzip, dass jedes prominent eingeführte Element einer Geschichte auch einen Zweck erfüllen müsse. Die früh in der Filmhandlung gezeigte Waffe wird nie abgefeuert. Wie Fakher Eldin überhaupt sehr ungewöhnlich erzählt.
Poetisch verschlungene Wege
"Yunan" ist der zweite abendfüllende Spielfilm Fakher Eldins und der Mittelteil seiner geplanten "Homeland"-Trilogie über das Heimatland seiner Eltern. Fakher Eldin wurde 1991 in Kiew geboren. Inzwischen lebt er in Deutschland. Seine Eltern stammen aus Syrien und sind von den besetzten Golanhöhen geflohen, wo das Debüt ihres Sohnes, das Drama "Al Garib" ("The Stranger", 2021), angesiedelt ist. "Al Garib" erhielt bei den Filmfestspielen von Venedig den Edipo Re Award, "Yunan" lief im Wettbewerb der Berlinale. Die Themen Flucht und Exil, die in seiner eigenen Familiengeschichte verwurzelt sind, erzählt er in "Yunan" auf verschlungene, ausgesprochen poetische Weise.
Der von Georges Khabbaz gespielte Protagonist ist ein Schriftsteller mit Schreibblockade. Wieder und wieder schwirren ihm die ersten Zeilen einer alten Geschichte über einen Schäfer und seine Frau durch den Kopf, die ihm seine Mutter einst erzählte und die der Beginn eines neuen Romans werden könnte. Wenn Munir daran denkt, dann taucht auch der Film in die Welt des Schäfers ab: Der Handlungsort wechselt von der nasskalten Nordsee in eine karge Berglandschaft im Nahen Osten, das satte Grün der Wiesen schlägt in sanfte Braun- und Gelbtöne um und Ali Suliman und Sibel Kekilli betreten als stummer Schäfer und seine Frau die Szenerie, bevor sie ebenso unvermittelt wieder aus dem Film verschwinden.
Symbolisch und märchenhaft
Ob es sich bei diesen Sequenzen um Vorstellungen oder um Träume, um die Visualisierung der von Munirs Mutter erzählten Geschichte, um den von Munir geschriebenen Romananfang oder gar um eigene Erinnerungen des Protagonisten handelt, bleibt offen – und spielt letztlich keine Rolle. Die Verschränkung der verschiedenen Erzählebenen verleiht dem durch die wunderschön komponierten Bilder des Kameramanns Ronald Plante ohnehin schon symbolisch aufgeladenen Film eine zusätzliche, märchenhafte Komponente. Und das ist ein Segen, auch für die deutsche Filmlandschaft.
Offiziell mag "Yunan", der von gleich sieben Ländern produziert und von einem syrischstämmigen Regisseur geschrieben und gedreht wurde, kein deutscher Film sein. Zwischen dem Nahen Osten, Hamburg und einer Hallig vor der Nordseeküste angesiedelt und mit deutschen Stars besetzt, bereichert er aber ganz klar die hiesige Kinobranche. Von Ameer Fakher Eldins poetischer Bildsprache, die sich nicht davor scheut, ihre Symbolik mit kräftigen Pinselstrichen auf die Leinwand aufzutragen, könnten sich viele deutsche Filme eine Scheibe abschneiden.
Geteilte Einsamkeit
Im Kern kreist das Drama um Isolation und Einsamkeit, die zu tendenziell selbstzerstörerischem Verhalten führen. Das ganze Können des gerade einmal 34-jährigen Filmemachers zeigt sich unter anderem darin, dass Ameer Fakher Eldin die anfangs ausweglos erscheinende Situation seines Protagonisten nicht isoliert betrachtet, sondern in den Lebensumständen der von Hanna Schygulla gespielten Witwe Valeska und ihrem von Tom Wlaschiha verkörperten Sohn Karl spiegelt. Und welch besseres Bild hätte er dafür finden können als eine von der Flut überschwemmte Hallig?
Auch Karl ist einer, der im sprichwörtlichen Sinn mit sich selbst und buchstäblich mit seinen Mitmenschen ringt. Die Begegnung mit Munir ist für beide eine Befreiung. Valeska wiederum hat sich in ihrer Einsamkeit eingerichtet, wodurch sie Munir zur klugen Ratgeberin werden kann. Statt panisch nach Luft zu schnappen, solle er es doch einfach mal mit dem Gegenteil probieren. Die Menschen würden ohnehin zu viel atmen, meint Valeska. Und behält damit am Ende recht.
Fazit: Ameer Fakher Eldins zweiter abendfüllender Spielfilm "Yunan" ist eine verschlungen erzählte und symbolisch aufgeladene Erkundung der Einsamkeit eines Exilanten. Ein poetisches Drama über Isolation und die Möglichkeit, innere Verwundungen nicht nur mit den Mitteln der Literatur, sondern auch durch die Nähe zu verwandten Seelen zu heilen.
Falk Straub
Besetzung & Crew von "Yunan"
Land: Deutschland, Kanada, Italien, Palästina, Katar, Jordanien, Saudi-ArabienJahr: 2025
Genre: Drama
Länge: 124 Minuten
Kinostart: 13.11.2025
Regie: Ameer Fakher Eldin
Darsteller: Sibel Kekilli, Georges Khabbaz, Laura Sophia Landauer, Felix Metschan, Hanna Schygulla
Kamera: Ronald Plante
Verleih: Immergutefilme




