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Aki Kaurismäki auf der Berlinale
Aki Kaurismäki auf der Berlinale
© Berlinale

Berlinale Tagebuch 2017: Tag 6

Halbzeit mit Kaurismäki, Beuys und Deneuve

Die Berlinale-Festivalleitung zieht eine Halbzeitbilanz, die natürlich wieder positiv ausfällt. Aber sie stehen damit nicht alleine. Auch die Spielfilm.de-Redaktion ist mit dem Angebot im diesjährigen Wettbewerb zufrieden. Bislang gab es noch keinen Geduldsfadentester-Film, dafür ein bunteres Angebot, das nicht nur aus Dramen, sondern auch aus Komödien, Thriller und Kriminalfilm bestand.

Am heutigen Tag kam noch ein Dokumentarfilm hinzu. Regisseur und Drehbuchautor Andreas Veiel ("Wer wenn nicht wir") hat sich, wie beim Titel nicht schwer zu erraten, bei "Beuys" den Künstler Joseph Beuys vorgenommen, der von den Sechzigern bis zu den Achtzigern einer der bekanntesten westdeutschen Künstler war. Aus dem reichhaltigen Material - Beuys war niemand, der ein Mikrophon oder eine Kamera scheute - hat er phantasievoll eine Collage montiert, die grob biographisch sortiert ist, sich aber hauptsächlich auf das Schaffen des umstrittenen (Aktions)künstlers konzentriert.

Inwieweit das heute sehr fern erscheinende Geschehen heute wirklich noch relevant ist, wie Veiel erklärt - Kritik an Kapital, Gesellschaftsordnung und Banken hat es vor Beuys gegeben und wird es immer nach ihm geben - ist debattierbar. Und was die internationale Presse und Jury mit dem durchaus erhellenden, aber etwas ernüchternd einseitig pro Beuys inszenierten Werk anfangen, ist völlig offen. Im Berlinale-Palast gab es zumindest schon mal freundlichen Applaus.

Etwas ernüchternd auch die Erkenntnis unserer Kollegin Julia Nieder, dass ein Film wie "Sage Femme" (Die Hebamme) ohne die Strahlkraft des Namens Catherine Deneuve wohl nicht ins Festivalprogramm eingeladen worden wäre. Offensichtlich sind sich die Verantwortlichen über die begrenzte Qualität des Dramas von Regisseur und Drehbuchautor Martin Provost ("Violette") selbst bewusst gewesen und lassen es wie so viele Streifen in diesem Jahr lediglich "außer Konkurrenz" im Wettbewerb laufen. Viele Journalisten rochen den Braten wohl schon, und das Cinemaxx blieb am Nachmittag verdächtig leer. Julia kniff nicht, blieb dann von dem Geschehen in all seiner Vagheit, Verschwurbeltheit und mit seinen Möchtegern-Metaphern absolut unbeeindruckt. "Wohl der schwächste Film, den ich hier bisher gesehen habe", urteilt sie.

Somit ist der Tagessieger ganz klar Altmeister Aki Kaurismäki. Sein von lakonischem Humor, der immer wieder zu großer Erheiterung am Morgen im Berlinale-Palast führte, durchzogenes Drama ist eine runde Sache. Nichts Bahnbrechendes, aber solides und überraschend optimistisches Kino der alten Schule, bei dem nicht nur die im Film zur Anwendung kommenden Schreibmaschinen der finnischen Polizei, sondern bereits die Kratzer und Flecken auf dem 35mm-Film während der Vorführung für ein wohliges nostalgisches Gefühl sorgen.

Dabei ist "Toivon tuolla puolen" (Die andere Seite der Hoffnung) topaktuell und spielt vor dem Hintergrund des Krieges in Aleppo, der Flüchtlingsbewegungen durch Europa und der Asylfrage. Ein syrischer Flüchtling (Sherwan Haji) hat sich bis Helsinki durchgeschlagen und bittet dort um Asyl. Seine Geschichte kreuzt sich mit der eines Vertreters (Sakari Kuosmanen), der sich seinen Lebenstraum vom eigenen Restaurant erfüllt hat. Die Mischung einer Wohlfühlgeschichte mit politisch-gesellschaftlichem Resonanzbogen wird dem finnischen Vertreter später bestimmt in den Programmkinos zu einem Erfolg verhelfen. Einstweilen wurde er von der Presse mit Applaus verabschiedet.

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