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Son of Saul - Géza Röhrig
Son of Saul - Géza Röhrig
© Sony Pictures

TV-Tipp für Dienstag (5.6.): Der Holocaust als Nahtoderfahrung

Arte zeigt "Son of Saul"

"Son of Saul", Arte, 00:25 Uhr
Im Vernichtungslager Auschwitz versucht ein Gefangener (Géza Röhrig), der gezwungen wird, seine eigenen Mitmenschen zu verbrennen, einen kleinen Jungen vor der Einäscherung zu bewahren.

Viele Möglichkeiten, sich in den Konzentrations- und Vernichtungslagern gegenüber den deutschen Wachmannschaften zur Wehr zu setzen, hatten die Menschen zumeist jüdischen Glaubens nicht, wenn sie erst einmal in die Todesmühlen geraten waren. Doch ganz ohne Gegenwehr haben sie sich in den rund vier Jahren, in denen die Todeslager bestanden, nicht wie die Lämmer zur Schlachtbank führen lassen. Mindestens drei Aufstände von Sonderkommandos - das waren Gefangene, die durch die SS gezwungen waren, ihre Mitgefangenen in Schach zu halten, in die Gaskeller zu eskortieren, die Leichen einzusammeln und zu verbrennen - sind verbürgt: Im Lager Treblinka 1943, im Lager Sobibor 1943 und in Auschwitz 1944.

Lásló Nemes, der bis dahin nur Kurzfilme gedreht hatte, kam durch die Lektüre der Zeugenaussagen von Mitgliedern dieser Sonderkommandos und des ungarischen Arztes Mikós Nyiszli, der im Lager Auschwitz als Gefängnisarzt gearbeitet hat und der im Film auch als Charakter in Erscheinung tritt, darauf, einen Streifen über deren Erfahrungen zu drehen. Mehrere Jahre arbeitete der Regiedebutant und Drehbuchautor an seinem Skript und an seiner Vision. Sein Ziel war es, mit "Saul fia" - so der Originaltitel - ein Werk zu drehen, dass den Holocaust aus der Sicht eines Einzelnen schildert und den Zuschauer unmittelbar ins Geschehen hineinholt. Um die begrenzte Sichtweise deutlich zu machen, drehte Kameramann Mátyás Erdély im alten, eher quadratischen Bildformat 1:1,37.

Nun ist das Ergebnis mit Sicherheit nicht das, was sich mancher Zuschauer unter "Unterhaltung" oder "einem schönen Kinoabend" vorstellt. Die Beklemmung, die Panik, die Todesangst, die Gewalt werden mit ungeheurer Wucht für den Betracher erfahrbar. Die verbissene Intensität des absolut lohnenswerten Werks sorgt mit seiner einzigartigen Bildsprache für eine unvergessliche Seherfahrung.

Nun gibt es bestimmt nicht nur einen Großteil des Publikums, der auf eine solche Erfahrung verzichten möchte, sondern auch die Geldgeber und Produzenten hatten wenig Vertrauen in einen solch harten Tobak, der von einem damals 37-Jährigen Novizen in Szene gesetzt werden würde. Die Finanzierung erwies sich als schwierig bis unmöglich. Ursprünglich sollte das ungarische Drama eine französische Produktion werden; doch die Finanzierung kam nicht zustande. Letztendlich wurde der Großteil des umgerechnet 1,5 Millionen Dollar schweren Budgets durch den Ungarischen Filmfonds bereit gestellt, so dass Nemes einen Monat lang in Budapest drehen konnte.

Der ungarische Staat konnte stolz auf seinen Wagemut sein, denn "Saul fia", weltweit von den Kritikern gepriesen, wurde einer der größten Kinoerfolge des Landes überhaupt. Weltweit spielte die Produktion 9 Millionen Dollar ein und wurde im Heimatland mit 220 000 verkauften Eintrittskarten 2015 ein großer Erfolg. Nach "Mephisto" aus dem Jahr 1981 gewann "Saul fia" den zweiten Oscar als "Bester fremdsprachiger Film" für Ungarn; dazu noch den Golden Globe und den Britischen Filmpreis. Bei den Filmfestspielen in Cannes erhielt der Streifen den Großen Preis der Jury, also sozusagen den zweiten Platz hinter dem französischen "Dheepan".

Kritikerin Tara Thorne schrieb in "The Coast": "Anders als andere Holocaust-Filme scheut sich dieser Streifen nicht davor, die Schrecken abzubilden. Hier türmen sich die Gräueltaten in den Ecken, am Bildrand, außerhalb der Bildschärfe oder noch schlimmer auf der menschlichen Tonspur von Flüstern, Schreien und Keuchen."



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